Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
hatte das Monument 1829 von dem ägyptischen Vizekönig Muhammad Ali erhalten, nachdem es ursprünglich den Eingang zum Luxor-Tempel geziert hatte. Ein wirklich bemerkenswerter historischer Schatz. Diese Gedanken gingen dem Mann durch den Kopf, während sich die Touristenströme vorbeiwälzten und höchstens einen flüchtigen Blick darauf warfen. Die Geschichte der Welt kam immer mehr unter die Räder, wurde zugeschüttet von dem unendlichen Datenstrom aus dem Internet, den die Leute mit ihren Smartphones oder iPads aufnahmen. Das Leben von Britney Spears, Angelina Jolie und Jennifer Aniston war für diese Massen interessanter als das von Marcel Proust, Richard Wagner oder Victor Hugo, falls sie überhaupt wussten, wer diese herausragenden Persönlichkeiten waren.
Der Mann musste sich beherrschen, um nicht verächtlich auszuspucken, und zwang sich zu einem Lächeln, während er sich durch die Menge an der Westseite des Obelisken schlängelte, wo Martha Christiana stand, die Hände in den Taschen ihrer schwarz-roten L’Wren-Scott-Jacke, unter der ein pflaumenblauer Bleistiftrock derselben Designerin ihre wohlgeformte untere Körperhälfte zur Geltung brachte. Sie wandte sich ihm nicht zu, als sie ihn zu ihrer Linken spürte, sondern neigte nur den Kopf in seine Richtung.
»Schön, dich zu sehen, mein Freund«, sagte sie. »Es ist lange her.«
»Zu lange, Chérie.«
Ihre vollen Lippen krümmten sich zu ihrem Mona-Lisa-Lächeln. »Du schmeichelst mir.«
Er lachte kurz auf. »Das hast du nicht nötig.«
Er hatte recht: Sie war eine auffallend schöne Frau, mit dunklen Augen und Haaren, mit südländischen Gesichtszügen und entsprechend feurigem Temperament. Und sie war immer sie selbst, was er bewunderte, auch wenn er oft versucht hatte, sie zu zähmen. Bis jetzt jedoch ohne Erfolg, wofür er insgeheim sogar dankbar war. Martha wäre ihm nicht halb so nützlich gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, ihr Temperament zu bändigen. In seinen seltenen ruhigen Momenten fragte er sich, warum sie immer wieder zu ihm zurückkam. Er hatte nichts gegen sie in der Hand; außerdem hätte sie sich ohnehin nie erpressen lassen, das hatte er schon bei ihrer zweiten Begegnung festgestellt. Er wandte seine Gedanken von diesen dunklen Zeiten ab, um ganz ins Hier und Jetzt zurückzukehren.
Martha lehnte sich gegen den massiven Obelisken, die schmalen Fußknöchel überkreuzt.
»Als ich jünger war«, sagte er, »glaubte ich, dass man für seine Anstrengungen belohnt würde, so als wäre das Leben gerecht und würde einem nicht ständig unerwartete Hindernisse in den Weg legen. Und was hatte ich davon? Einen Misserfolg nach dem anderen. Bis ich einsah, dass ich mir etwas vorgemacht hatte. Ich hatte das Leben falsch verstanden.«
Er schüttelte eine Zigarette aus der Packung, bot ihr eine an und nahm sich selbst eine. Als er sich vorbeugte, um ihr Feuer zu geben, stieg ihm ihr Parfum in die Nase, das nach Zitrusfrüchten und Zimt duftete. Tief in seinem Inneren erbebte etwas. Vor allem Zimt hatte eine starke erotische Wirkung auf ihn. Intime Gedanken stiegen in ihm hoch, die er jedoch rasch verdrängte. Er richtete sich auf, zündete seine eigene Zigarette an und sog das Nikotin ein, während er sich innerlich von der Vergangenheit entfernte.
»Mir wurde klar, dass mir das Leben beibringen wollte, wie man nicht bloß überlebt, sondern Erfolg hat. Ich begriff, dass ich meinen Stolz ablegen und die unerwarteten Hindernisse annehmen muss, um sie zu überwinden, statt mich von ihnen abzuwenden. Denn nur über sie führt der Weg zum Erfolg.«
Martha Christiana hörte ihm schweigend und aufmerksam zu. Er mochte das an ihr. Sie war nicht so von sich eingenommen, dass ihr wichtige Dinge entgingen. Das allein hob sie aus der Masse heraus. Sie war wie er.
»Jedes Mal, wenn man das Inakzeptable annimmt, verändert sich etwas«, sagte sie schließlich. »Verändere dich oder stirb, das ist die Lektion, die wir beide gelernt haben, stimmt’s? Und nach all den kleinen Veränderungen sind wir irgendwann nicht mehr die, die wir einmal waren.«
»Auf eine Weise, wie wir es uns nie hätten vorstellen können.«
Sie nickte, den Blick auf die Rosskastanien gerichtet, die den weiten Platz säumten. »Und da stehen wir nun und warten wieder einmal, dass die Schatten fallen.«
»Im Gegenteil«, sagte er, »wir sind die Schatten.«
Martha Christiana nickte lachend. »Stimmt.«
Sie rauchten einige Minuten schweigend, während die Leute an ihnen
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