Der Briefwechsel
handschriftlich]
Fondamenta Nani
San Trovaso, Venezia
23. Juli 1973
Lieber Siegfried,
endlich habe ich den Text zu »Die Unvernünftigen sterben aus« fertig korrigiert. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Vor allem fürchte ich mich vor Druckfehlern wie in dem Aufsatzband. 1 Hier arbeite ich jetzt täglich an dem Filmdrehbuch, ganz frei nach »W. Meister«, und komme irgendwie voran, obwohl die Anfangsschwierigkeiten wie immer scheußlich sind. Auch die Arbeitsumstände sind miserabel, laut und dunkel. 2 Ich wünsche Dir in Frankfurt alles Gute und freue mich, Dich bald wieder einmal zu sehen. 3
Herzlich,
Dein Peter
1
P. H., Die Unvernünftigen sterben aus , wurde zwischen dem 28. Februar und 22. April 1973 in einer ersten 35 Blatt starken Fassung niedergeschrieben ( ÖLA / SPH / LW / W 45). Das Stück erschien am 25. September 1973 als Band 168 der suhrkamp taschenbücher . Zu den Gründen für Angst vor Druckfehlern siehe Brief 184, Anm. 1.
2
Der »Arbeitstitel« der Filmerzählung Falsche Bewegung lautete in der ersten, in Venedig entstandenen Textfassung » WILHELM MEISTERS LEHRJAHRE «. Das 24 Blätter umfassende Typoskript wurde von P. H. den handschriftlichen Datumseinträgen nach zwischen dem 21. Juli und dem 7. August 1973 niedergeschrieben ( ÖLA / SPH / W / W 7).
3
P. H. und S. U. trafen sich am 4. August 1973 in Venedig. S. U. hielt im Reisebericht Venedig–Zürich–Großgmain–Ohlsdorf–Salzburg, 4.-8. August 1973 , fest: »Gespräch mit Peter Handke. Vorbereitung des ›st‹-Bandes ›Die Unvernünftigen sterben aus‹. Präsentation des Bandes. Anzeigen aus Anlaß der Büchnerpreisverleihung. […] [P. H. erhielt 1973 den Georg-Büchner-Preis; die Übergabe
234 fand am 21. Oktober statt. Die im September und Oktober 1973 geschriebene Dankrede ist unter dem Titel Die Geborgenheit unter der Schädeldecke wiederabgedruckt in: P. H., Als das Wünschen noch geholfen hat , S. 71-80. Sie ist Ingeborg Bachmann gewidmet, die am 17. Oktober 1973 gestorben war. Im Jahr 1999 gab P. H. den Büchner-Preis als Protest gegen die deutsche Beteiligung am Krieg der NATO gegen Serbien zurück.] Zur Wicki-Verfilmung des ›Kurzen Briefs zum langen Abschied‹: Er hört mit Genugtuung, daß nicht zuletzt durch unsere Forderung von DM 100.000,– Wicki und die Intertel sich bemühen, eine internationale Besetzung zu erreichen. Mit Schmunzeln hört er die Beteiligung von John Ford, aber doch mit Interesse die ihm von mir geschilderten Vorbereitungen. Was die Frage von Dr. Rach angeht, so bestätigt Handke das Folgende: bis Philadelphia seien alle amerikanischen Schauplätze [in: Der kurze Brief zum langen Abschied ] vollkommen real, dann würden sie immer mehr fiktiv. Gegenwärtig arbeitet Handke an einem Drehbuch für einen Film ›Wilhelm Meister‹, den sein Freund Wim Wenders drehen soll. Gespräche über eine »Österreichische Bibliothek« als Sub-Reihe zu den ›st.‹.
Handke war begleitet von Peter Pongratz; Peter Pongratz hat unsere Einwände zu seinem Buch bedacht und hat die Struktur dieses Buches im Laufe des letzten Jahres nun doch sehr verändert. Ihm läge sehr daran, daß wir noch einmal in eine Prüfung einträten. Ich sagte ihm dies zu. Peter Pongratz ist bei längerem Zusammensein vielleicht doch eine stärkere künstlerische Potenz, als ich dies ursprünglich annahm. Er kommt im übrigen bald nach Frankfurt, um hier das Bühnenbild für Roths ›Lichtenberg‹ zu machen; die Ablehnung dieses Stückes durch uns schlägt immer wieder Wellen. [Gerhard Roth, Lichtenberg , hatte Uraufführung am 19. Oktober 1973 in Graz; die Premiere im Theater am Turm in Frankfurt am Main fand am 2. November 1973 statt.]«
235 [188; Rundbrief an Autoren des Suhrkamp Verlags; Anschrift: Kronberg]
Frankfurt am Main
31. August 1973
Lieber [Peter Handke],
ich wurde gebeten, mich öffentlich zur Frage der Rechtschreibreform zu äußern; die westdeutschen Kultusminister denken ja an eine generelle Einführung der Kleinschreibung bei der deutschen Sprache. Wie beurteilst Du diese Änderung? Bei mir wehrt sich alles gegen die Kleinschreibung. Das ideologische Moment, die Erlernung der deutschen Sprache sei für weniger Privilegierte dadurch leichter, kann ich nicht gelten lassen. Zur Aufklärung gehört eben doch ein Maß einer Bemühung, wenn nicht schon die Anstrengung, das groß zu schreiben, was als Substantiv gedacht ist.
Mich würde Deine Meinung zu dieser Frage
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