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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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Fluchtmöglichkeit, und sagte, sie könne mich ja schließlich das gleiche fragen. Sie sah mir nicht in die Augen, aber sie entschuldigte auch nichts. »Pyke fasziniert mich«, sagte sie. »Er ist ein aufregender Mann. Und wie dir vielleicht noch nicht aufgefallen sein dürfte, sind solche Männer ziemlich selten.«
    »Wirst du auch in Zukunft mit ihm schlafen?«
    »Ja. Ja. Sooft er will.«
    »Wie lange geht das schon so?«
    »Seit der Zeit ... seit dem Tag, als wir zum Abendessen eingeladen waren, und du und Pyke diese Sachen miteinander getrieben habt.«
    Sie lehnte ihre Wange gegen mein Gesicht. Die Zartheit ihrer Haut und ihr Duft ließen mich beinahe ohnmächtig werden.
    »Ach, mein Liebes«, sagte ich.
    Sie sagte: »Ich möchte bei dir bleiben, Karim, und außerdem habe ich viel für dich getan. Aber ich kann es nicht ertragen, wenn jemand - ein Mann - mir sagt, was ich tun soll. Wenn Pyke mit mir zusammen sein möchte, dann werde ich meiner Lust nachgeben. Er kann mir noch so viel beibringen. Und bitte, bitte, spionier mir nie wieder nach.« Die Türen des Zuges schlossen sich, doch ich konnte gerade noch hindurchschlüpfen. Während ich den Bahnsteig entlanglief, beschloß ich, die Beziehung mit Eleanor aufzugeben. Ich würde sie zwar täglich im Theater sehen müssen, aber ich würde sie nicht mehr als meine Geliebte betrachten. Es war also vorbei, meine erste richtige Liebesaffäre war zu Ende. Es würde andere geben. Eleanor zog Pyke vor. Ihr süßer Gene, ihr schwarzer Lover, Londons bester Schauspieler, der in einer Fernsehserie Bettpfannen leerte, hatte sich umgebracht, weil die Engländer ihn jeden Tag mit einem Blick, einer Bemerkung, einer Geste spüren ließen, wie sehr sie ihn haßten; sie ließen ihn nie vergessen, daß er für sie ein Nigger war, ein Sklave, ein Untermensch. Und so wie wir England umwarben, warben wir auch um die Blüten englischer Schönheit; hatten wir diese Trophäen, ihre Sanftmut und Grazie, erst einmal in Besitz genommen, konnten wir endlich dem Empire trotzig ins selbstbewußt blickende Auge sehen - ins Auge von Pelzrücken, ins Auge der großen Dänischen Fickerdogge. Wir mußten uns aber auch von aller Bitterkeit und allem Haß befreien. Nur, wie sollte dies möglich sein, wenn Bitterkeit und Haß jeden Tag aufs neue provoziert wurden?
    Ich ließ Eleanor eine entsprechende Nachricht zukommen. Dann begrub ich meine Liebe zu ihr. Das war das Schwierigste. Alles im Leben konzentriert sich auf Menschen, die sich verlieben. Verlieben ist einfach; aber keiner sagt einem, wie man seine Liebe wieder los wird. Ich wußte nicht einmal, womit ich anfangen sollte.
    Den Rest des Tages verbrachte ich in Soho und sah mir etwa zehn Pornofilme an. Danach muß ich mich wohl eine Woche lang in einem eigenartigen Zustand von Depression, Verzagtheit und Menschenscheu befunden haben, denn ich machte mir nichts aus dem, was eigentlich der großartigste Abend meines Lebens hätte sein sollen - der Premiere des Stücks.
    In den Tagen vor der Premiere sprach ich mit den anderen Schauspielern kein Wort. Die Intimität, die Pyke zwischen uns geschaffen hatte, kam mir jetzt wie eine Droge vor, die für eine gewisse Zeit in uns den Eindruck von Zuneigung und Unterstützung hervorgerufen hatte, deren Wirkung jetzt aber nachließ und wie bei LSD nur in gelegentlichen Flashbacks wieder aufflackerte. Ich folge den Regieanweisungen Pykes, aber ich stieg nicht mehr zu ihm ins Auto. Ich hatte ihn so sehr bewundert, sein Talent, seinen Wagemut und seine Unbekümmertheit gegenüber Konventionen, aber jetzt war ich nur noch verwirrt. Hatte er mich nicht verraten? Oder hatte er mir etwa zeigen wollen, wie die Dinge in dieser Welt eben liefen? Ich wußte es nicht. Jedenfalls mußte Eleanor ihm erzählt haben, was zwischen uns vorgefallen war, denn er verhielt sich mir gegenüber nur noch distanziert und höflich. Marlene schrieb mir einen Brief: »Wo bleibst du, mein Süßer? Hast du keine Lust, mich wiederzusehen, lieber Karim?« Ich antwortete nicht. Ich hatte die Schnauze voll von den Theatermenschen und dem ganzen Stück; ich wurde allmählich taub und gefühllos. Was mit mir geschah, schien nicht länger wichtig. Manchmal empfand ich Wut, doch meistens gar nichts; noch nie zuvor hatte ich soviel Nichts gespürt.
    Die Garderobe quoll über vor Blumen und Glückwunschkarten, und in einer Stunde wurde mehr geküßt als in ganz Paris an einem Tag. Fernsehen und Radio wollten Interviews, und ein Journalist

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