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Der Buddha aus der Vorstadt

Der Buddha aus der Vorstadt

Titel: Der Buddha aus der Vorstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanif Kureishi
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»und hör dir meine Kritik an. Ich bin froh, daß du deine Rolle ganz aufs Biographische beschränkt hast und gar nicht erst versucht hast, mich als Vorlage zu nehmen. Offensichtlich war dir klar, daß ich kein Mensch bin, der sich leicht darstellen lassen würde. Dein Ehrenwort ist also doch ein Ehrenwort. Ausgezeichnet.«
    Ich war froh, als Jamila neben mir auftauchte; ich hoffte, sie würde das Thema wechseln. Und wen hatte sie bei sich? War das nicht Simon? Was war mit seinem Gesicht passiert? Über einem Auge trug er eine Augenklappe, auf der Wange ein Pflaster, und der halbe Kopf war bandagiert. Jamila machte ein sehr ernstes Gesicht, auch dann noch, als ich ihr zum zweitenmal zum Baby gratulierte. Dabei sah sie mich unaufhörlich an, wie einen Verbrecher oder einen Vergewaltiger. Was war denn jetzt schon wieder los, das wollte ich wirklich wissen.
    »Was ist los?«
    »Du warst nicht da«, sagte sie. »Ich konnte es nicht glauben, aber du hast dich wirklich einfach nicht blicken lassen.« Wo war ich nicht gewesen?
    »Wo war ich nicht?« fragte ich.
    »Muß ich dich auch noch daran erinnern? Bei der Demo, Karim.«
    »Ich hab’s nicht geschafft, Jammie. Ich war auf der Probe. Wie war’s denn? Ich hab gehört, es war sehr eindrucksvoll ...?«
    »Andere Schauspieler aus deinem Ensemble waren auch da. Simon ist ein Freund von Tracey, und sie war da. Direkt in der ersten Reihe.«
    Sie sah zu Simon. Ich sah zu Simon. Man konnte unmöglich erkennen, was er für ein Gesicht zog, weil das meiste davon momentan nicht zu sehen war.
    »Schau nur her, so war s. Eine Flasche ins Gesicht hab ich gekriegt. Wo wird es nur enden mit dir, Karim?«
    »Da vorne«, sagte ich.
    Ich wollte die Fliege machen. Gerade als ich am Ausgang war, kam Mum auf mich zu. Sie lächelte, und ich gab ihr einen Kuß. »Ich hab dich sehr lieb«, sagte sie.
    »War ich nicht gut, Mum?«
    »Du hast keinen Lendenschutz getragen so wie sonst«, sagte sie. »Wenigstens lassen sie dir jetzt deine eigenen Kleider. Allerdings bist du kein Inder. Du bist nie in Indien gewesen. Du würdest Dünnschiß kriegen, sobald du aus dem Flugzeug steigst, da bin ich mir sicher.«
    »Warum redest du nicht noch lauter?« sagte ich. »Bin ich nicht zumindest ein halber Inder?«
    »Und was ist mit mir?« sagte Mum. »Wer hat dich geboren? Du bist ein Engländer, Gott sei Dank.«
    »Mir ist es egal«, sagte ich. »Ich bin Schauspieler. Die Rolle ist nur ein Job.«
    »Sag das nicht«, meinte sie. »Sei, was du bist.«
    »Oh, yeah.«
    Sie sah zu Dad, der sich mit Eva unterhielt. Eva redete wütend auf ihn ein. Dad sah belämmert aus, aber er schluckte, was sie zu sagen hatte, und erwiderte nichts. Er blickte zu uns herüber und senkte die Augen. »Sie verpaßt ihm eine Lektion«, sagte Mum. »Blöde alte Kuh - das hilft doch kein bißchen bei dem dickschädeligen Esel.«
    »Geh lieber auf die Toilette und putz dir die Nase«, sagte ich.
    »Ist wohl besser so«, sagte sie.
    An der Tür stellte ich mich auf einen Stuhl und ließ den Blick über diese Ansammlung zukünftiger Skelette wandern. In achtzig Jahren würden die meisten von ihnen tot sein. Wir lebten, als hätten wir eine Wahl, als wären wir nicht allein, als würde nicht ein Moment kommen, in dem jeder von uns begreift, daß das Leben vorbei ist, daß wir ohne Bremsen auf eine Wand zufahren. Eva und Dad redeten miteinander; Ted und Jean redeten, Marlene und Tracey redeten; Changez und Simon und Allie redeten; und mich brauchte im Moment keiner. Ich ging.
    Im Vergleich zu den stinkenden Ärschen da drinnen und ihrem ätzenden Geschwätz war die Nacht sehr mild. Ich öffnete meine Lederjacke und den Reißverschluß meiner Hose und hängte meinen Schwanz in den Wind. Ich ging in Richtung Themse, zu diesem Scheißfluß, diesen Pißfluten, die von Trotteln auf Hausbooten und rudernden Männern verpestet wurden. Ich ging rasch, bis ich merkte, daß eine kleine dunkle Gestalt mich verfolgte. Sie lief in einigen Schritten Abstand hinter mir her und hatte die Hände in den Taschen. Sie war mir total egal.
    Ich wollte an Eleanor denken und daran, wie weh es tat, sie jeden Tag wiederzusehen, wo ich doch nichts lieber wollte, als wieder mit ihr zusammenzusein. Ich hatte gehofft, daß meine Gleichgültigkeit ihr Interesse an mir wiederbeleben würde, daß sie mich vermissen und wieder in ihre Wohnung einladen würde, zu gedünstetem Kohl und einem letzten Kuß zwischen ihre Schenkel. Aber in meinem Brief hatte ich sie gebeten,

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