Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
getäfelt war, bedrückend
düster, denn nach sechs Jahren ohne Pflege waren Glanz
und Prunk dahin.
Denn Kastell di Caela war im gleichen Jahr wie Schloß
Feuerklinge an die Bauern gefallen, damals als Fürst Angriff verschwunden war. Agion Pfadwächter war ein
Prahlhans gewesen, aber dennoch ein fähiger Statthalter,
der die Ländereien gut verwaltet hatte. Doch als er in den
Flügeln des Habbakuk verraten und getötet worden war,
hatte er nur eine spärlich gefüllte Vorratskammer und eine
kleine Besatzung von zwölf Mann hinterlassen. Diese Garnison war von den Bauern im Spätsommer 326, um Sturms
zwölften Geburtstag herum, ausgehungert worden.
»Ausgehungert«, sagte Sturm untröstlich zu sich selbst.
Langsam und unter Schmerzen stand der Junge auf und
ging zu der ausgehängten Doppeltür des großen Speisesaals. Die Mahagonitische, einst der Stolz von Generationen
von di Caelas und nach ihnen den Blitzklinges, lagen auseinandergeschlagen unter einer dicken Staubschicht da.
Hier ist Großvater Emelin zur Welt gekommen, dachte
Sturm. Nur einen Monat früher, und Vater wäre auch hier
geboren worden, denn als Großmutter hochschwanger
war, brachte der alte Emelin sie nach Norden, nach Schloß
Feuerklinge, wo sein Vater Bayard…
So sann der Junge auf einem Stuhl mit hoher Lehne vor
sich hin und verfolgte zwischen Staub, Spinnweben und
Trümmern seine Geschichte zurück. Hier drin gab es mehr
Licht, denn am Lichtgaden befanden sich ein Dutzend
Fenster, durch die der Wind hereinwehte und den Staub
und die schimmeligen Vorhänge aufstörte. Ein Marmorfries, aus dem die Bauern die Köpfe herausgeschlagen hatten, rahmte den Balkon über der Halle. Wegen des Vandalismus und der anschließenden Vernachlässigung war
kaum noch zu erkennen, daß es in sieben gemeißelten Szenen die Geschichte von Huma darstellte.
Sturm setzte sich auf, um das Fries genauer zu betrachten. Er hatte ein Faible für alles, was alt und aus Marmor
war und voller Geschichte steckte, und schließlich war diese Arbeit fast tausend Jahre im Besitz der Familie gewesen.
Er bewunderte die Weinranken, die herrlich gemeißelten
Berge, das schreckliche Abbild von Takhisis, der Mutter
der Nacht.
»›Mitten aus dem Nichts‹«, rezitierte Sturm. »›Königin
der vielen Farben und doch keiner.‹«
Dann sah er Huma selbst, dessen Gesicht genauso aussah
wie seines.
»Bei Paladin«, flüsterte der Junge. »Mein Gesicht auf dem
von Huma?« Durch die Splitter ging er näher heran, während er gebannt das beschädigte Fries ansah.
Nein. Er hatte sich geirrt. Humas Kopf hatten sie abgeschlagen, zweifellos bei der Einnahme des Schlosses. Was
er gesehen hatte, war nur ein Spiel des Lichtes, ein plötzlicher, unerklärlicher Eindruck.
»Bald wird es dunkel werden«, sagte er zu sich. »Ich sollte weitergehen, solange noch die Sonne durch die Fenster
scheint und mich vielleicht herausführen kann.« Tapfer
holte er tief Luft und stieg die breite Treppe in die oberen
Räume von Kastell di Caela hoch.Die Gänge waren von
Statuen und halb verrosteten künstlichen Vögeln gesäumt.
Sturm hatte von den Kuckucks von Kastell di Caela gehört – daß sein Ururgroßvater, Sir Robert, diese ganzen
zirpenden, schwirrenden Kunstwerke gesammelt hatte,
von denen keines funktionierte, jedenfalls nie so, wie es
sollte, und die jeden Besucher ärgerten und erschreckten.
Urgroßmutter Enid hatte die ganzen Apparate im Katzenturm verstaut, dem kleineren der beiden Türmchen, aber
Sir Robert und Sir Galen Pfadwächter, ein unberechenbarer
Freund von Urgroßvater Bayard, hatten den Vogelpark in
seiner ganzen entnervenden Pracht wiederhergestellt, weil
sie fest daran glaubten, daß das Piepsen »den kleinen Emelin beruhigen« würde.
Jetzt waren sie alle tot. Robert war ertrunken, als sein
Gnomengefährt, das dazu gedacht war, Pferde überflüssig
zu machen, die Zugbrücke hinunter in den randvollen
Burggraben der di Caelas gejagt war. Urgroßmutter Enid
war mit hundertzwölf Jahren ruhig und friedlich entschlafen. Sie hatte so lange gelebt, daß sie noch den kleinen
Sturm in der Wiege gesehen hatte. Was aus Sir Bayard und
Sir Galen geworden war, wußte keiner. Noch vor der Jahrhundertwende, als beide schon weiße Haare gehabt, an
Umfang ordentlich zugelegt und als glückliche Großväter
mit ihren Enkeln gespielt hatten, war das ungewöhnliche
Duo zu einem neuen Abenteuer nach Karthay aufgebrochen, in die hintersten Winkel des
Weitere Kostenlose Bücher