Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
flüsternd fort. »Das Gedicht verlangt, daß
wir alle, du und ich und Kitiara und Caven, mit den Juwelen zusammen sind, damit du einen Zauber sprechen
kannst, der alles beendet.« Janusz ließ sie keinen Moment
aus den Augen. Der Valdan hielt erstaunlich still, wirkte
jedoch höchst aufmerksam. Tanis fuhr fort: »Aber Caven ist
tot und Kitiara bewußtlos. Es sind nur noch wir beide übrig, Lida… Kai-lid.«
Lida öffnete den Mund. Tanis sah, wie sich ihre Lippen
bewegten, und erkannte, daß sie sich das Gedicht vorsagte.
Ihr Blick war ins Leere gerichtet; sie wandte sich ganz nach
innen, so daß ihre Augen und ihr Gesicht einen Moment
lang völlig ausdruckslos waren. Dann sagte sie: »Xantar ist
nicht in der Schlacht, nicht wahr? Er ist tot.« Es war keine
Frage. Tanis nickte.
Lida schluckte sichtlich und senkte den Kopf. Als sie
hochsah, stand neue Entschlossenheit in ihren Augen. Sie
sah Janusz an. Ein verwirrtes Zucken ging über das Gesicht
des alten Zauberers. Dann sprach sie zum Valdan, der ihre
Bewegungen mißtrauisch beobachtete. »Du hast einst meine Mutter gekannt«, sagte sie. »Du hast sie unablässig gequält, bis sie jene gerufen hat, die ihr zur Flucht verhalfen.
Ich glaube, es hat ihr unendlich weh getan, daß sie ihre
kleine Tochter nicht mitnehmen konnte, aber die Regeln
des Düsterwalds sind seltsam und oft unergründlich… wie
ich sehr gut weiß.«
Lida holte wieder Luft. Ihre Stimme gewann an Festigkeit. »Als es an der Zeit war, kam sie, um mir beizustehen.«
Lida faltete die Hände und sagte:
»Drei Liebende, die Zaubermaid,
Geflügelter mit treuer Seele,
Untote drohen im Düsterwald,
Sichtbar in der Spiegelschale.
Böses befreit durch des Diamanten Flug.« »Zwei der drei
Liebenden scheinen besiegt zu sein, Valdan«, fuhr Lida
fort. »Doch auch ich bin drei. Ich bin Lida Tenaka, Zofe der
Tochter des Valdans«, sagte sie. »Jedenfalls sehe ich so
aus.« Sie schnürte einen Beutel an ihrer Taille auf, holte
eine Prise Kräuterstaub heraus und öffnete dann in derselben fließenden Bewegung ein weiteres Säckchen.
»Außerdem bin ich Kai-lid Entenaka vom Düsterwald,
Freundin und Schülerin des Mentors Xantar«, fuhr sie fort.
Sie warf die Kräuter in die Luft. Roter und blauer Staub
blieb auf ihren glatten, schwarzen Haaren liegen.
»Temporus vivier«, flüsterte sie. »Enthülle, enthülle.«
Gleichzeitig glänzten Lidas Haare nicht mehr schwarz,
sondern aschblond. Der Valdan stieß einen Schrei aus. Die
azurblauen Augen der Frau, die denen ihres Vaters glichen,
durchbohrten den Valdan.
»Und schließlich bin ich Dreena ten Valdan«, schloß sie,
»durch die Liebe meiner Dienerin vor dem Tod durch das
Zauberfeuer gerettet.«
Janusz stöhnte und sagte ein Zauberwort. Im gleichen
Augenblick konnte Tanis loslaufen, denn das Schutzfeld
hatte sich aufgelöst. Der Halbelf stieß Dreena beiseite, da
der Valdan schon auf sie lossprang. Tanis warf sich auf Janusz und bohrte dem weißhaarigen Magier sein Schwert
tief in die Brust.
Der alte Zauberer brach ohne ein weiteres Wort zusammen. Gleichzeitig schrie auch der Valdan tödlich getroffen
auf und brach dann vor Dreenas Füßen zusammen. Blut
strömte aus der Brust des Heerführers, nicht aus der von
Janusz, obwohl das Schwert in dessen Brust steckte.
Hinter Tanis stiegen magische Worte auf. Dreena drehte
sich langsam mit ausgestreckten Händen um sich selbst. In
jeder Hand hielt sie einen Eisjuwel. »Terminada a ello.
Entondre du shirat.« Sie drehte sich schneller, bis ihre Schuhe unter dem Saum ihrer Robe verschwammen. »Terminada
a ello. Entondre du shirat.« Tanis hörte die Wände rings um
sie herum ächzen. Daraufhin wurde Dreena langsamer und
blieb stehen. Mit Tränen in den Augen schüttelte sie den
Kopf. Sie sagte: »Janusz’ Tod wird alles zerstören. Ich habe
getan, was ich konnte, um uns Zeit zur Flucht zu verschaffen. Aber wir müssen jetzt schnell verschwinden.«
»Und die Juwelen?« fragte Tanis, der zu der bewußtlosen
Kitiara rannte und sie hochhob.
Wortlos schleuderte Dreena die Steine voller Abscheu
von sich.
An der Eiswand bildeten sich Wasserperlen. Der sterbende Valdan versuchte, nach einem Eisjuwel zu greifen,
doch Tanis trat den Stein aus seiner Reichweite. Als der
Raum sich erwärmte, wurde der Boden plötzlich feucht
und rutschig. Tanis und Dreena liefen vorsichtig zur Tür.
Bei Cavens Körper blieben sie kurz stehen. »Wir müssen
ihn hierlassen«, murmelte Dreena.
»Ich weiß.«
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