Der Bund der Drachenlanze - 12 Tina Daniell
war Kharis-O jedoch bereit, jederzeit in den
Krieg zu ziehen. Ein Minotaurus war treu bis zum Tod,
und die Ehre gebot, daß beide im Einklang mit allen Entscheidungen des Obersten Kreises handelten.
Die acht Mitglieder des Obersten Kreises waren vom König zusammengerufen worden, um die Ankunft von Sargonnas zu erleben.
Die Acht warteten im größten Saal des Palastes. Einige
trommelten mit den Fingern auf den großen Eichentisch.
Andere liefen auf und ab und schnaubten vor Ärger, wenn
sie mit den Schultern aneinanderstießen. Wieder andere
hatten ihre gehörnten Köpfe auf den Eichentisch gelegt und
schnarchten durchdringend.
Morgen abend würde es soweit sein.Das Allerheiligste
des Nachtmeisters war unglaublich faszinierend, mußte
Tolpan Barfuß gestehen.
Das trockene, aufgerissene Land war von brüchigen
Mauern übersät. Hier und dort ein paar Säulen – mehr war
nicht geblieben von den Tempeln der sagenhaften Stadt,
die sich in den Himmel gereckt hatte. Überall lagen Steine
herum. Eine oder zwei geborstene Statuen standen im Geröll.
Risse von Erdbeben, die die einstmals bedeutende Stadt
erschüttert hatten, durchzogen den Boden im Zickzack und
trugen zu dem unheimlichen Eindruck bei. Graue und
schwarze Asche, die teilweise zu einer brüchigen Kruste
verhärtet war, bedeckte alles.
Der Nachtmeister beobachtete Tolpan, als der Kender einen Teil der toten Stadt durchstreifte und dabei hin und
wieder ein ascheüberzogenes Ding aufsammelte und in
seinen Rucksack stopfte. Tolpan drehte sich um, bemerkte
den Blick des Nachtmeisters und winkte.
»Ist der Kender nicht… interessant?« fragte Fesz, dem
kein besseres Wort eingefallen war. Der Schamane stand
neben dem Nachtmeister. »Sicher findet auch Ihr, daß es
eine gute Idee war, ihn herzubringen. Tolpan hat mir bereitwillig alles über seine ehemaligen Freunde erzählt, und
er hat darum gebettelt, mich begleiten zu dürfen.«
»Bist du sicher, daß er böse ist?« knurrte der Nachtmeister, der den Kopf schief legte, um den näherkommenden
Kender mit seinen großen Stieraugen zu mustern.
»Er trinkt jeden Tag die doppelte Dosis des Tranks. Und
er hat mir keinen Anlaß gegeben, an ihm zu zweifeln.«
»Was ist das für ein komischer Holzstab über seinem Rücken?«
»Das heißt Hupak, Herr«, erwiderte Fesz. »Der Kender
sagt, es ist eine unschlagbare Waffe.« Der Minotaurenschamane brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Es dürfte
nichts schaden, seine Kindereien zu dulden.«
Der Nachtmeister warf seinem Jünger einen Seitenblick
zu. Fesz würde ihm einmal nachfolgen. In mancher Hinsicht war er der gerissenste und vertrauenswürdigste Schüler des Nachtmeisters, aber in anderer Hinsicht war Fesz,
wie der Nachtmeister wußte, der Argloseste, Vertrauensseligste aller Minotauren.
»Was ist mit dem Menschen, Sturm?«
»Ein Zwischenfall, der allen Minotauren zur Schande gereicht«, stimmte Fesz zu, »aber nicht Tolpan anzulasten.
Sturm hatte den Zweikampf schon fast verloren, und Tolpan hat so laut gebrüllt wie wir alle. Kein Minotaurus war
wütender über die Rettung als Tolpan. Er bestand darauf,
daß zahlreiche Wachen zum Tode verurteilt werden müßten, weil sie es zugelassen hatten, daß der Solamnier entkam! Er hat sogar darum gebeten, einen persönlich hinrichten zu dürfen. Das konnten wir wegen der Staatsgesetze
natürlich nicht erlauben, aber Tatsache ist, daß er gefragt
hat.«
Der Nachtmeister schien diese Mitteilung zu verarbeiten.
Dann drehte er sich achselzuckend zu seinem Zimmer ohne
Wände um, das einst der Eingang zur großen Bibliothek
gewesen war. Während er sich mit tierhafter Geschmeidigkeit bewegte, raschelten die Federn im Wind, und die
Glöckchen um seine ausladenden Schultern und Hörner
bimmelten.
»Hallihallo, Nachtmeister!« zirpte Tolpan ihm nach.
Der Nachtmeister drehte sich nicht um, um den Gruß des
Kenders zu erwidern. Der Oberschamane setzte sich
schwerfällig an seinen langen Tisch, während die anderen
beiden Angehörigen der Hohen Drei ihm hurtig Zauberbücher und Zutaten brachten. Diese baute er vor sich auf,
prüfte und verglich sie und schrieb dabei mit einer Feder
etwas auf.
»Etwas unnahbar, hm?« meinte Tolpan.
»Es ist bald soweit«, grollte Fesz vielsagend. »Der
Nachtmeister muß seine gesamte Aufmerksamkeit auf die
bevorstehende Aufgabe richten. Ich muß zu ihm, Tolpan,
und ihm bei seinen Vorbereitungen helfen.«
Fesz drehte sich um und ging zu dem langen Tisch, wo
er
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