Der Bund der Illusionisten 1
mit der Wucht ihrer Tragik auf mich ein. Tränen machten meine Sicht auf ihn verschwommen, aber ich vergoss keine. Ich streckte die Hand aus, um ihn zu berühren. » Brandâ oh, Göttinverflucht, Brand, das ist nicht richtig. Du wirst anfangen, mich zu hassen. Wenn wir unser Ziel erreichen, musst du mich verlassen. Um deiner selbst willen. Wie kann ich irgendeine Loyalität von dir verlangen, wenn ich so wenig zu geben habe; nein, wenn ich als Gegenleistung gar nichts zu geben habe?«
Seine Lippen zuckten verbittert. » Das wäre meine höchste Bestrafung. Ich würde lieber mit dem Schmerz leben als mit dem Verlust.«
Er drehte sich um und lieà mich allein zu meiner Höhle zurückkehren. Ich bohrte ein Loch in meine Schlafmatte und stieà das Schwert hinein. Es war meine Aufgabe, meine Sachen selbst zusammenzupacken und auf dem Slecz zu verstauen, also brauchte ich keine Angst zu haben, dass irgendjemand es finden würde. Dann kroch ich wieder in Temellins Arme zurück und versuchte, nicht zu denken, denn das Denken war schmerzhaft. Weil ich nicht über das nachdenken wollte, was ich sonst noch erfahren hatte.
Eine Stunde später wusste ich, dass ich mich dem Schmerz doch stellen musste, da ich nicht schlafen konnte. Weil ich Brands Stimme nicht von mir fernhalten konnte. Denk nach, Ligea. Denk darüber nach, wer genau dich geliebt hat.
Erinnerungen⦠die Reise zu sich selbst kann eine der einsamsten Reisen überhaupt sein.
Ich liebte die Terrasse von Gayeds Villa; von dort aus hatte man den besten Blick in ganz Tyr. Ich konnte von dort zum Tempel der Melete sehen, der sich auf einem benachbarten Hügel befand und unter dem sich die Sommerbühne erstreckte. Ich sah auch den Fluss und die Geschäftigkeit an den Kais und das Meer dahinter; ich sah Besucher zu unserem Haus kommen. Noch vor allen anderen wusste ich, dass Pater auf dem Weg nach Hause war.
Besonders liebte ich die Terrasse in der Wüstenzeit, wenn es drauÃen so wunderbar war wegen des berauschenden Geruchs der Blumen und der Wärme der Sonne â so wie heute, an meinem sechzehnten Geburtstag.
Die Ziervögel summten ihr schlaftrunkenes Lied im Garten und spotteten über meine Ungeduld. Ich wartete darauf, dass Pater von der Stadt zurückkehrte. Ich wartete auf die Neuigkeiten, die er bezüglich meiner Zukunft mitbrachte, und ich wollte ihm für sein Geburtstagsgeschenk danken. Ich hatte sogar mein bestes Gewand angezogen, das mit den Granatsteinen am Saum â nur um ihm zu gefallen, auch wenn ich selbst es nicht sehr mochte. Es war zu steif und unbequem. Abgesehen davon hinderte es mich daran, das zu tun, was ich in diesem Moment am liebsten getan hätte: auf dem rötlich grauen Hengst reiten, der auf dem Gartenweg gleich unterhalb unserer Terrasse entlangstapfte.
Stattdessen musste ich mich damit zufriedengeben, mich an die Balustrade zu lehnen und das Pferd anzustarren. Sein rötlich graues Fell schimmerte im Sonnenlicht, und die Schultermuskeln und der Nacken und die Beine verrieten Kraft und Geschwindigkeit. Ich zitterte vor Aufregung.
» Oh, Göttin, Brand«, sagte ich. » Ist er nicht herrlich? Kannst du glauben, dass er wirklich mir gehört? Ist es nicht wundervoll von Pater, dass er ihn für mich gekauft hat?«
Brand, der das Pferd an den Zügeln führte, blieb stehen und sah zu mir hoch. Er blinzelte gegen das Sonnenlicht. » Zweifellos hat der General exzellente Gründe gehabt, ein so ungeeignetes Reittier zu kaufen«, sagte er.
Ich schürzte die Lippen und versuchte herauszufinden, was genau er mir damit sagen wollte. Brand sagte häufig etwas, das nie genau das auszusagen schien, was ich zuerst vermutete. Eine Angewohnheit von ihm, die ich ärgerlich fand. » Ich hoffe nur, dass das keine Kritik an Pater sein soll«, sagte ich streng und wandte meine Aufmerksamkeit dem Pferd zu, um mir nicht den Tag verderben zu lassen. » Oh, steig schon auf, Brand, um der Göttin willen. Auch wenn ich neidisch sein werde â ich muss sehen, wie er sich bewegt.«
Brand lächelte; es war ein ganz bestimmtes, duldsames, spöttisches Lächeln, das mich gewöhnlich wütend genug machte, um mit irgendetwas nach ihm zu werfen. Heute jedoch lieà ich mich nicht einmal im Ansatz dadurch ärgern. Er schwang sich auf den Rücken des Tieres; es schien ihm nicht das Geringste auszumachen, dass der Sattel fehlte. Seine
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