Der Bund der Illusionisten 1
regieren zu können. Gleichberechtigt neben Tyrans zu sein, nicht ihm unterworfen. Ist das wirklich zu viel verlangt?«
» Und doch haben die einfachen Karden nie geherrscht, nach allem, was ich von Garis und den anderen weiÃ. Es war das Vorrecht der Magori zu regieren.« Gut so, Ligea. Stich mit dem Messer genau da hinein, wo es weh tut.
Er war einen Moment still. Ich sah ihn an, und er starrte stur geradeaus. Sein Gesicht wirkte grimmig. Ihm gefiel die Kritik nicht, die in meinen Worten mitschwang. » Ja«, sagte er. » Das stimmt. Und ich werde mich dafür nicht entschuldigen. Wir zumindest sind Karden. Wir sprechen die gleiche Sprache und leben nach den gleichen Regeln. Wir haben besondere Fähigkeiten, die uns besonders geeignet zum Herrschen machen. Und wir werden durch Gesetze geleitet, die uns allen dienen.«
» Das Letztere ist genau das, was Legata Ligea auch über die tyranischen Herrscher sagen würde.«
Er spuckte seine Verachtung fast aus. » Kannst du wirklich glauben, dass unsere Methoden zu herrschen und zu handeln irgendetwas mit den ihren gemein haben? Du hast in Tyr gelebt! Du hast sicherlich gesehen, was da passiert.«
» Ja«, sagte ich. » Und ich weiÃ, was Sklaverei ist.«
Er war augenblicklich zerknirscht. » Ah, bei der Illusion, es tut mir leid. Natürlich weiÃt du das. Weit besser als ich.« Er sah mich jetzt an und lächelte entschuldigend. » Du hast Recht mit deinen Fragen, denn nur durch Fragen können wir lernen. Du bist weit gekommen für jemanden, der als Sklave aufgewachsen ist.«
Etwas Unangenehmes kroch über meine Haut und kratzte an meiner Seele. Vielleicht meine eigenen Lügen, die ich so schlau formulierte, dass er die Falschheit nicht spüren konnte. Ich sagte: » Denk nicht, dass ich jemand war, der die Nachttöpfe geleert oder die Abwaschschüsseln geschrubbt hat. Ligea hat ihre Sklavin überallhin mitgenommenâ als Kind mit zur Schule und später ins Theater und zu den Debatten und den Dichterabenden. Ihre Sklavin hat mit ihr gelernt.« Das war nur zu wahr, auch wenn die Sklavin in Wirklichkeit ein Sklaveâ nämlich Brandâ gewesen war. Ich hoffte, dass Temellin es von Derya glauben würde.
Er blieb stehen und starrte mich an. Fast sofort begann das Eis unter seinem Reittier zu schmelzen, und der Sand rührte sich. Ich blieb neben ihm stehen und fragte mich, welcher Teil meiner Aussage diesen besonderen Gesichtsausdruck bei ihm erzeugt hatte. » Ich bin ein Narr gewesen«, sagte er ruhig. » Du warst ihre Gefährtin, seit du dich erinnern kannst. Du liebst sie, nicht wahr? Sie ist wie eine ältere Schwester für dich. Du willst sie nicht verraten.«
» Es fällt Sklaven nicht so schwer, ihre Besitzer zu verraten«, sagte ich hölzern. Mein Reittier trat unsicher von einem Bein auf das andere, als Sandkörner sich um seine FüÃe wanden.
» Trotzdem. Wenn du dich zwischen uns beiden entscheiden müsstest, zwischen Ligea und mir, wen würdest du wählen?«
» Ich habe mich bereits entschieden.«
» Nein. Du hast dich zwischen der Freiheit und der Sklaverei entschieden.«
» Ich würde nicht gern sehen, dass Ligea irgendetwas passiert. Aber andererseitsâ ich würde auch nicht wollen, dass dir etwas passiert.« Und das stimmte. In diesem Kampf hatte Derya Ligea besiegt.
Er nickte. Er akzeptierte, dass ich nur so weit und nicht darüber hinaus gehen konnte, und wir ritten weiter.
16
Brand und ich starrten die Illusion an und trauten unseren Augen nicht.
» Das kann unmöglich wirklich sein«, sagte ich rundweg. » Wie ist das möglich?«
» Du hast Recht«, erwiderte Temellin. » In einer Hinsicht ist es auch nicht wirklich. Wieso würde es sonst Illusion genannt werden? Und was ist eine Illusion anderes als eine Täuschung, ein Traum, der nicht da ist?«
» Ich verstehe nicht.«
Temellin gab Garis ein Zeichen, mit Brand weiterzureiten, während wir beide auf unseren Sleczs zurückblieben und über eine Landschaft blickten, die es nicht geben konnte. Er streckte seine Hand nach meiner aus. » Das da ist die Schöpfung von Wesen, die wir als Illusionierer bezeichnen. Die Illusionierer haben ein Land erschaffen, das alles enthält, was ihnen gefällt, und weil sie sind, was sie sind, ist das von ihnen Erschaffene Wirklichkeit. Ich kann diese Früchte essen
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