Der Bund der Illusionisten 1
staubverschmiert, und ihr Gesicht wirkte älter, als sie wirklich war, ihre Haut war trocken und schlaff. Wieder spürte ich, wie sich in mir Mitgefühl regte. Pinar wäre eine andere Frau gewesen, hätte Temellin sie geliebt⦠Ich hob meine linke Handfläche und richtete sie auf ihre Kehle. Sie hatte keine Möglichkeit mehr, sich gegen mich zu verteidigen; ein kleines Aufflackern meiner Macht, und sie würde tot sein. Ich könnte das Kind den Illusionierern übergeben und wäre selbst in Sicherheit.
Und doch hielt ich inne.
» Tu es«, sagte Brand und kämpfte sich auf die Beine. » Sie rührt sich schon wieder.«
» Sie ist Temellins Frau«, flüsterte ich.
» Zum Vortex, Ligea, seit wann bist du so zimperlich? Töte die Frau und befreie sie von ihrem Wahnsinn und Schmerz, denn wenn du es nicht tust, wird sie dich kriegen, und die Illusion wird deinen Sohn kriegen.« Er drehte sich um und suchte nach seinem Schwert.
Er hatte Recht, und ich wusste es. Und trotzdem konnte ich es nicht tun. Ich konnte sie nicht töten.
Ich weià nicht, was mich davon abgehalten hat. Sie war Temellins Frau, sie war schwanger, sie war eine der Zehn, die meinetwegenâ weil mein Vater so besessen von mir gewesen warâ verwaist und verbannt worden war, sie war meine Kusine, sie trug das Kind des Mannes, den ich liebte, ein Geschwisterkind meines Sohnesâ das alles waren Gründe genug, meine Hand zu lähmen.
» Vortexverdammt! Wenn du es nicht kannst, ich kann es ganz sicher.« Brand tastete im Schutt nach seinem Schwert, fand es und zog es unter irgendwelchen Steinen heraus. Es war leicht verbogen, aber das spielte wohl kaum eine Rolle. Ich zögerte immer noch, zum ersten Mal in meinem Leben war ich unfähig, entschieden zu handeln; obwohl es nötig war zu töten, war ich unfähig, es rasch, sauber und ohne Gewissensbisse zu tun.
Und dann packte Pinar ihr Schwert und sprang auf, ging zuerst auf Brand los. Er war so überrascht, dass er auf der Stelle durch einen Lichtblitz gefällt wurde. Als er rücklings hinfiel, zeigte sich Erstaunen in jeder Linie seines Gesichtes; als sein Körper auf dem Boden aufkam, war er bereits bewusstlos. Und dann⦠verschwanden seine Ãberraschung und sein Entsetzen mit einem Blinzeln.
Ich konnte ihn nicht spüren. Ich konnte ihn nicht spüren.
Ich wehrte mich dagegen, indem ich die Macht meines Cabochons gegen Pinar einsetzte, und sie wurde nach hinten geschleudert, prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen die Mauer. Doch weder ihre Miene noch ihre Wachsamkeit veränderten sich auch nur im Geringsten. Sie lächelte, schützte sich mit einem Zauberspruch und richtete ihr Magorschwert mitten auf meine Brust.
» Jetzt habe ich dich«, sagte sie. Kühle, verheiÃungsvolle Worte, die ich jedoch kaum richtig wahrnahm.
Brand⦠Bitte nicht Brand. Es konnte nicht wahr sein. Und doch war es sein Körper, der da auf dem Boden lag. Konnte irgendein normaler Mensch den Energieblitz eines Magorschwertes zu spüren bekommen und überleben?
Es war mein Fehler. Ich hatte sämtliche mir bekannten Regeln gebrochen, die es anzuwenden galt, um in einem Kampf zu überleben, und jetzt war mein bester Freund tot. Wegen meiner Dummheit, wegen meines unangebrachten Mitgefühls. Und so wurde ein weiterer Körper unter meiner blutigen Türschwelle vergraben⦠Was für eine Bedeutung hat ihr ungeborenes Kind überhaupt für mich? Was ist mit meinem eigenen ungeborenen Kind?
Ein Kummer, wie ich ihn noch nie zuvor empfunden hatte, schwappte über mich hinweg. Oh, Göttin, Cabochon, Brand ! Der einzige wahre Freund, den ich jemals gehabt hatte. Der nie an mir gezweifelt hatte, all die Jahre hindurch nicht.
Der heiÃe Schmerz des Verlustes brannte in mir; unvergossene Tränen verwandelten sich in Wut.
Ich rief den Wirbelwind herbei, den Sturm. Er kam vermischt mit meiner Wut in das Zimmer gerast, zerrte an uns allen. Ich richtete ihn auf Pinar und versuchte, ihr das Schwert aus der Hand zu reiÃen. Energie blitzte auf, und Licht schoss aus der Klinge und traf den Wind in einem Wirbel aus Gold und Licht und wirbelnder Wut. In zufälligen StöÃen barst Macht aus dem Wirbel, zertrümmerte noch mehr Steine und zerstörte weitere Möbel. Ich wurde ebenfalls vom Wind gepeitscht; er riss meine Kleidung in Fetzen und scheuerte mir mit seinem körnigen Staub die
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