Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
wolle er sich in voller Größe vor einem Feind aufbauen und sich Respekt verschaffen. Dabei trat an seinen Schläfen die Schlagader nervös hervor. »Was ist daran so schwer zu begreifen? Wir erachteten Heinrichs Verhalten schlicht und ergreifend als nicht standesgemäß. Wir sind eine Familie, für die der Begriff der Ehre kein leeres Wort ist. Und deswegen frage ich Euch: Wie konnte sich Heinrich erlauben, mit fünfzehnhundert bis an die Zähne bewaffneten Männern gegen Trier zu ziehen, während ihn ein Treueid an den Erzbischof band? Vergesst nicht, dass Heinrich Alberos Vasall war!«
Laetitia, die verwirrt wahrnahm, in welch unerwarteten Aufruhr ihre Frage Sebastian versetzt hatte, begann nervös am Halssaum ihres Gewands zu nesteln. Sie überlegte, was sie sagen könnte, um Sebastian zu beschwichtigen, denn er steigerte sich immer mehr in seinen Eifer hinein.
»Und nicht irgendwann war es, dass Heinrich seine Krieger gegen die geplagte Stadt sandte, nein!«, fuhr er unwirsch fort. »Er tat es ausgerechnet zu einer Zeit, da sich Albero am Hof des Königs aufhielt. Die Ehre hätte jedoch verlangt, dass Heinrich seinem Lehnsherrn zunächst offiziell die Treue aufkündigt!«
Nun begriff Laetitia. Wenn das wirklich den Tatsachen entsprach, hatte Graf Heinrich mit seinem Verhalten nicht bloß Alberos Autorität verletzt, sondern auch die des Königs. Als beispiellosen Affront musste man werten, was Heinrich sich geleistet hatte, wenn er seine waffenrasselnden Männer tatsächlich ausschwärmen ließ, während Albero am Hof des Königs weilte. Von daher konnte Laetitia durchaus nachvollziehen, dass Sebastian sich mit seinem Vater an die Seite Alberos stellte.
Andererseits galt Laetitias Spurensuche nicht dem Verhalten von Sebastians Familie, sondern dem Auffinden von Burkhards Mörder. Die Zeit schwand dahin und der Knecht würde gewiss bald hier aufkreuzen. Besser, sie beeilte sich. Wenn es ihr doch nur herauszufinden gelänge, an wen Burkhards Nachricht sich richtete oder zumindest, von welcher Untat darin die Rede war? »Ob der Mörder im Streit mit Burkhard außer den Briefen wohl noch etwas an sich genommen hat?«, fragte sich Laetitia murmelnd.
»Was sagt Ihr?«
»Ich frage mich, ob der Mörder noch einen weiteren Gegenstand aus dem Besitz von Burkhard an sich gebracht hat. Dass er bei seiner Flucht aus dem Haus etwas verloren hat, weiß ich mit absoluter Sicherheit. Als er mit dieser Brigitta zusammenstieß, ist ihm ein Gegenstand mit metallenem Klang zu Boden gefallen. Und sie hat ihn an sich genommen.«
Sebastian lachte auf und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ach, jetzt redet nicht schon wieder von der Hure! Eure Zeugin – wie sagtet Ihr vorhin? – mit flammend rotem Haar. Macht Euch keine allzu großen Hoffnungen. Sogar wenn Alberos Männer Brigitta tatsächlich aufspüren, wird aus ihr nicht viel herauszuholen sein.«
»Aber sie wird gewiss helfen können und bald wird Licht in diese Sache kommen!«
Sebastian zog die Brauen empor. Es war offensichtlich, dass er sie für schwer von Begriff hielt. »Licht in diese Sache bringen? Licht ist nicht Brigittas Element! Sie lebt vom Geheimnis und der Diskretion. Und es ist kein schlechter Lebensunterhalt, den sie sich mit ihren Künsten verdient, das könnt Ihr mir glauben. Weshalb sollte sie so töricht sein, ihre Existenz aufs Spiel zu setzen, bloß um eine Aussage in einer Mordanhörung zu machen? Moral ist ihr kein Begriff und das Lügen hat sie mit der Muttermilch eingesogen!«
Laetitia schluckte. Welch ungnädiges Urteil Sebastian über diese Frau sprach – nun gut, ihr Lebenswandel war mehr als sündig und der Allmächtige allein wusste, wie er sie für ihre Sittenlosigkeit strafen würde. Trotzdem musste das nicht zwangsläufig bedeuten, dass sie sich dem Zeugnis verweigerte, bloß um Scherereien aus dem Weg zu gehen.
»Macht Euch keine zu großen Hoffnungen, Laetitia, auch nicht für den Fall, dass Brigitta eine Aussage macht. Das Zeugnis, das eine Hure ablegt, ist keinen Pfifferling wert. Noch dazu ist morgen Sonntag, da werden Alberos Männer sich vermutlich ohnedies kein Bein ausreißen, um Brigitta aufzuspüren. Obwohl gerade die Chancen gar nicht schlecht stünden, wenn ich es mir recht überlege. Sonntags arbeitet Brigitta nämlich nicht, weil sie trotz allem ein bisschen auf die Bibel hält. Sie kümmert sich dann um streunende Katzen, die ihr bessere Freunde als die Menschen sind, und gegen Abend sieht sie meist nach ihrem
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