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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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tun wolltest, und mache deinen Frieden mit ihm.«
    Bantry atmete schneller. Aus dem Loch, das einmal sein Mund gewesen war, kamen rasselnde Laute. Vitus glaubte, Worte verstanden zu haben, und hörte noch einmal genau hin. Dann wandte er sich ernüchtert ab.
    Bantry hatte »Scheiß drauf!« gekrächzt.
    Als wolle er hierauf eine Antwort geben, war vom Mast her Bruder Ambrosius zu hören; er sagte: »Ich danke Dir, Vater im Himmel, dass Du meinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hast, und erflehe von Dir die Kraft, der es bedarf, auch die Bösen unter den Menschen zu lieben.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Vitus ihn.
    »Nun«, der Mönch, der bei seinen Worten himmelwärts geblickt hatte, wandte dem Cirurgicus sein hohlwangiges Gesicht zu, »Gott hat mich an eine Geschichte erinnert, die Bruder Erasmus, der Arzt unseres Klosters, gern am Mittagstisch zum Besten gab, vornehmlich dann, wenn Hühnerklein auf dem Speisezettel stand: Es habe, so erzählte er, in der Nähe von Erfurt eine Bauersfrau gelebt, die eines Tages einen Topf mit kochendem Wasser vom Feuer nahm, dabei über die eigenen Füße stolperte, stürzte und sich schwerste Hautverbrennungen zuzog. Nachdem sie mehrere Stunden hilflos am Boden gelegen hatte, kam ihr Mann vom Feld, entdeckte sie und erschrak zu Tode. Es war Abend, und der Dorfbader war weit. Was sollte er tun? Er wusste nicht ein noch aus. Doch plötzlich erinnerte er sich, dass seine Mutter Verbrühungen stets mit frischem Hühnerfett behandelt hatte. Er schlachtete also geschwind ein Huhn, nahm das Fett, strich die Haut seiner Frau damit ein, und alsbald wurde sie wieder gesund.«
    Ambrosius lächelte leicht. »Dann pflegte Bruder Erasmus in die Runde zu blicken und zu sagen: ›Ich danke dem Herrn dafür, dass keiner meiner Mitbrüder sich heute Morgen verbrannt hat und mein Hühnerklein deshalb schön fett ist.‹ Woraufhin er es sich, unter den missbilligenden Blicken unseres ehrwürdigen Abtes, schmecken ließ.«
    Als Ambrosius dies gesagt hatte, richteten sich alle Augen der Mannschaft nach vorn, zum Bug, wo Jack in seinem Käfig saß. Der Vogel war stark abgemagert, machte aber ansonsten einen gesunden Eindruck.
    »Wennste damit meinst, Jack soll abgemurkst werden, haste dich geschnitten, Vater.« Phoebe stemmte kampflustig die Arme in die Hüften. »Will meinen eignen Kopf essen, eh das passiert, un Fett hatter auch nich auf’n Rippen, kein Gran nich, nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, kein Gran nich.«
    »Nun, meine liebe Phoebe, meine liebe Phyllis, es geht hier immerhin um ein Menschenleben, und Jack ist nur ein Tier«, versuchte Ambrosius zu erklären. Er merkte dabei, wie schwer es ihm fiel, sich für Bantry, den Mordbuben, einzusetzen, aber auch dieser Mensch hatte schließlich eine Seele, und wenn es dem Herrn gefiel, würde sie sogar gerettet werden.
    »Ja, ja, kein Gran nich«, wiederholte Phyllis zur Überraschung aller. Sie blickte, ganz gegen ihre sonstige Art, den Mönch dabei direkt an.
    »Gewiss, Phyllis«, räumte Ambrosius ein. »Gewiss.« Er fühlte sich etwas unbehaglich, denn er hatte zum erstenmal bemerkt, welch schöne blaue Augen das blasse Mädchen besaß. »Aber man sollte den Hahn wenigstens einmal abtasten, nicht wahr, vielleicht findet sich doch …«
    Phoebe reckte das Kinn vor. »Kommt nich in Frage, Vater, ’s is mein letztes Wort!« Dann drehte sie sich zu dem Vogel um. »Brauchst keine Angst nich haben, du Scheusal, Phoebe is da un passt auf. Für so ’nen Hundsfott wie Bantry gehste nich drauf, bei den Knochen meiner Mutter!«
    Der Zwerg mischte sich ein: »Wui, Bantry is ’n armes Schwein, Frau Beischläferin, das musste holmen, un keiner is ohne Sünde, un du schon gar nich.«
    »Waaaaas?« Phoebe schoss auf den Wicht zu. »Du Winzbuckel, du! Fass dich anne eigne Nase! Hätt nie nich gedacht, dassde dich für so’n Hundsfott wie Bantry einsetzen tätst.«
    Der Magister blinzelte kurzsichtig. »Keine Aufregung, Phoebe, Verehrteste! Keine Aufregung! Das schadet nur deiner Schönheit. Also, dem Gesetz nach ist ein Tier kein Mensch und kann somit auch nicht mit ihm auf eine Stufe gestellt werden, ich räume aber ein, dass …«
    »Wartet mal«, unterbrach Vitus, »ich glaube, Bantry hat eben etwas gesagt.« Alle schwiegen und spitzten die Ohren.
    »Was – ser«, hauchte Bantry.
    »Er möchte Wasser«, stellte Vitus fest. »Ich habe ihm die letzten Tage immer wieder etwas gegeben, so viel, wie wir erübrigen konnten, aber es scheint nie genug

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