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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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gewesen zu sein. Jetzt haben wir selbst fast nichts mehr.«
    Kaum hatte er das gesagt, löste er damit eine neue hitzige Diskussion aus, die darin gipfelte, dass Phoebe schimpfte: »Der Hundsfott is nich das Schwarze unterm Fingernagel wert, verstehste, nich das Schwarze, un ’n Tropfen von unserm Wasser erst recht nich, ’s wär viel zu schade, nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, viel zu schade.«
    Vitus breitete, Ruhe gebietend, die Arme aus. »Wir haben nicht das Recht, ihn leiden zu lassen, solange wir ihm helfen können. Wir müssen ihm Wasser geben. Manchem von euch mag das schwer fallen, und auch ich hege keine freundschaftlichen Gefühle für einen Mann, der mir nach dem Leben trachtete, aber gerade darin unterscheiden wir Menschen uns vom Tier.« Er nahm den letzten Becher des aufgefangenen Regenwassers und flößte ihn dem Kranken ein.
    »Herr, wenn es Dir gefällt, lass es bald wieder regnen«, seufzte er.
    »Amen«, ergänze Ambrosius.
     
    In der darauf folgenden Nacht pfiffen Böen aus verschiedenen Richtungen über das Schiff. Vitus, der bis zu diesem Zeitpunkt das Boot gesteuert hatte, übergab die Pinne wieder an Hewitt, der besser mit Schot und Segel umzugehen wusste. Es war stockdunkel, der Himmel hing voller Wolken, und kein noch so kleiner Stern erhellte den Ozean.
    Vitus bedauerte zum wiederholten Mal, dass die Laterne, die sie von der
Gallant
gerettet hatten, bei der Explosion des Radschlosses zerborsten war. Er kletterte vorsichtig nach vorn, über die Leiber des Zwergs, des Magisters und des Mönchs hinweg, die eng aneinander gedrängt im Heckbereich schliefen. Er wollte noch einmal nach Bantry sehen. Zwiespältige Gefühle beherrschten ihn dabei. Der Schwerverletzte war ein schlechter Mensch mit niedrigen Instinkten, ein Schlagetot und ein Dieb dazu, denn sie hatten bei ihm Teile der Habe von Ó Moghráin und Bride gefunden, und dennoch: Es musste alles getan werden, damit Bantrys Leben gerettet wurde. Allein deshalb schon, weil er, Vitus, ein
Cirurgicus Galeonis
war und das Ethos seines Berufs das von ihm verlangte. Schlimm war nur, dass er immer wieder spürte, wie sich alles in ihm dagegen sträubte.
    Als er sich zu Bantry vorgetastet hatte, ergriff er dessen Handgelenk und fühlte den Puls. Er war kaum zu spüren. Bantry ging es zum Gotterbarmen. Alle Kraft war aus seinem Körper gewichen, weshalb man ihn mit Stricken an die Ruderbank gebunden hatte. Vitus ließ sich neben ihm nieder und nahm sich vor, am nächsten Morgen den Hahn zu schlachten, egal, was Phoebe davon hielt. Wenn eine Möglichkeit zur Linderung von Bantrys Leiden bestand, musste diese wahrgenommen werden. Er blickte noch einmal über das Schiff, konnte aber kaum etwas wahrnehmen, nur die Schatten von Phoebe und Phyllis im Bug und die Umrisse der Männer im Heckbereich. Alle außer Hewitt schienen zu schlafen. »Gute Nacht und Gott befohlen«, murmelte er. Dann döste er ein.
    »Kannst du bei dieser ägyptischen Finsternis überhaupt die Kompassnadel erkennen, Hewitt?«, fragte der Magister einige Zeit später in die Dunkelheit hinein. Er war aufgewacht und gähnte herzhaft.
    »Nein, ich versuche, das Schiff einigermaßen am Wind zu halten, mehr kann ich nicht machen.«
    »Solange du uns nach Westen in die Karibik segelst, soll es mir recht sein.« Der kleine Gelehrte drehte sich auf die andere Seite. »Jetzt sehe ich etwas«, rief Hewitt plötzlich.
    »Wie? Was sagst du?« Der Magister war schon wieder im Land der Träume gewesen.
    »Unser Kurs ist nahezu Südwest.« Hewitt wunderte sich, dass er die Kompassnadel so deutlich vor Augen hatte, und forschte nach der Quelle des Lichts. Er blickte zum Himmel und stieß einen überraschten Schrei aus: »Allmächtiger Gott, steh mir bei!«
    Alle fuhren hoch.
    »Was gibt es dahinten?« Das war Vitus’ Stimme.
    »Wui, ’s blendet in den Spählingen.«
    »Ich glaub, mich laust der Affe, ’s is hell wie zehn Hafenlaternen auf einmal, nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, wie zehn Hafenlaternen.«
    »Das ist ein Zeichen des Herrn!« Ambrosius blickte empor zum Mast, dessen Spitze von einem büschelförmigen, intensiven Licht umgeben war, das sich ständig zu erneuern schien. »Ein Zeichen des Herrn!«, wiederholte er und begann sogleich zu beten:
    »Allmächtiger, wir danken Dir
    für dieses Zeichen,
    das Du uns in finsterer Stunde gesandt hast,
    und nehmen es in Demut an.
    So wie der Stern von Bethlehem
    die Weisen aus dem Morgenland
    zu Jesus Christus unseren Herrn geleitet hat,
    so wird auch

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