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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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dieses Licht uns leiten,
    gen Westen, in die Neue Welt.
    Amen.«
    »Amen«, wiederholten alle, und Ambrosius schlug das Kreuz. Dann, jählings, zuckte sein langer Körper wie unter einem Peitschenhieb zusammen, denn ein gewaltiger Blitz, der den gesamten Ozean taghell erleuchtete, schoss über den Himmel hinweg.
    »Großer Gott!« Phoebe bekreuzigte sich. »’s kann aber auch’n schlechtes Zeichen sein, ’n verdammich schlechtes Zeichen, nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, ’n verdammich schlechtes Zeichen.«
    Unterdessen hatte es weitere Male geblitzt.
    Alle warteten ängstlich auf den Donnerschlag, aber er blieb aus.
    »Ob gutes oder schlechtes Zeichen«, bemerkte der praktisch denkende Magister schließlich, »auf jeden Fall regnet es.« Er streckte seine Hand aus und fing die ersten Tropfen auf. »Wasser, Herrschaften, klares, kaltes, süßes Wasser. Wir sollten so viel wie möglich davon auffangen.«
    »Dasses regnet, is ’n gutes Zeichen, nich, Phyllis, aber dasses nach’m Blitzen nich donnert, is komisch, nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, komisch«, echote Phyllis.
     
    Das Gewitter hielt ihrer Schätzung nach über eine Stunde an. Es blitzte ohne Pause, so grell, dass die Augen ihnen wehtaten, doch kein einziger Donner war zu hören. Sie fingen in bewährter Manier Wasser auf und tranken sich satt. Auch Bantry bekam seinen Teil ab. Dann schliefen sie, obwohl völlig durchnässt, glücklich wieder ein. Sie wussten, sie hatten Wasser für mehrere Tage.
    Am anderen Morgen, als Vitus sich um Bantry kümmern wollte, war dieser tot. Gott der Allmächtige hatte ihn sterben lassen.
    noch Februar A. D. 78
    Der Matrose Bantry ist vergangene Nacht seinen Leiden erlegen. Seine sterblichen Überreste wurden der See anvertraut. Die Dinge, die er der Mannschaft gestohlen hatte, wurden ihm vorher abgenommen, darunter eine Lederweste des verstorbenen Bride und ein goldenes Kreuz von Ó Moghráin. Wir haben ein letztes Gebet für Bantry gesprochen. Er war ein übler Schurke, hinterhältig und skrupellos, möge Gott sich dennoch seiner Seele annehmen.
    Der Gesundheitszustand der Mannschaft, und ebenso der meinige, ist leidlich. Alle sind schwach und bis auf die Knochen abgemagert. Manche haben raue, rote Hautstellen, aufgescheuert durch die Kleidung. Die Stellen brennen wie Feuer, besonders, wenn Seewasser an sie gelangt. Ein Abspülen mit Süßwasser war bislang nicht möglich, denn wir hatten kaum noch welches.
    Immer wieder bin ich erstaunt, wie viel der menschliche Körper aushalten kann, wenn er nur gutes, trinkbares Wasser erhält. Wasser scheint für das Gleichgewicht der Säfte viel wichtiger zu sein als Nahrung. Gottlob hat es in der letzten Nacht ein starkes Gewitter gegeben, so dass wir unseren Wasservorrat auffrischen konnten. Vorher beobachteten wir ein seltsames, nie gesehenes Phänomen an der Mastspitze; es war ein Licht, das sich geraume Zeit dort hielt, und es war so hell, dass Hewitt sogar den Stand der Kompassnadel ablesen konnte.
    Nach Bantrys Tod fühlen wir uns alle wie befreit.
    In den folgenden Nächten zogen regelmäßig Gewitter auf, und jedes Mal beobachteten sie vorher das seltsame Licht an der Spitze des Masts. Eines Morgens fanden sie mittschiffs am Bootsboden mehrere kleine Fische. Sie maßen ungefähr zehn Zoll in der Länge und sahen ähnlich wie Heringe aus. Ihre Oberseite leuchtete stahlblau, die Unterseite silbrig. Sie besaßen Brustflossen, so breit wie Flügel.
    »Fliegende Fische«, erklärte Hewitt, »sie schmecken ausgezeichnet.« Und noch während er das sagte, rief plötzlich der Magister: »Da sehe ich welche im Meer, das müssen welche sein!«
    Tatsächlich schossen an Backbord ein Dutzend oder mehr silbrig glänzende Fischkörper aus dem Wasser, glitten wohl an die hundert Fuß durch die Luft und tauchten klatschend wieder ein. Der Vorgang wiederholte sich mehrere Male, und nachdem sie eine Weile zugesehen hatten, bemerkte der kleine Gelehrte: »Es gibt Vögel, die schwimmen können, warum soll es nicht auch Fische geben, die fliegen können? Hauptsache, die Tierchen schmecken.« Er blinzelte Phoebe erwartungsvoll an. »Und sie werden es, nicht wahr, Phoebe, Verehrteste?«
    »Will sehn, wassich machen kann. ’s Kohlebecken is ja an, bedankt euch bei Phyllis, dasses so is. ’s gibt ’ne Fischsuppe, was anneres geht nich, haben ja keinen Rost nich, nur ’n Eimer als Topf un Splitterholz zum Brennen, ’s Splitterholz muss trocken sein, verstehste, trocken musses sein, nich,

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