Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno

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einschließlich des Cirurgicus, schienen zu schlafen, nur im Bug machte Phoebe sich am Kohlebecken zu schaffen, doch von ihr ging keine Gefahr aus. Er nahm die Muskete auf – und legte sie wieder hin. Ihm war eingefallen, wie Phoebe vor nur wenigen Tagen Fraggles einen derben Stoß versetzt hatte, einen Stoß, der für den Verrückten der Anfang vom Ende gewesen war. Gleiches konnte auch ihm passieren. Durch Hewitt, der schräg hinter ihm saß. Es würde besser sein, das Milchgesicht vorher auszuschalten. Und er wusste auch schon, wie.
    »He, Hewitt …«
    »Ja, Bantry?«
    »Schrei nicht so, du weckst ja alle auf.«
    »Oh, tut mir Leid.« Hewitt wunderte sich über Bantrys plötzliche Fürsorge.
    »Schon gut. Lasch die Pinne fest und sichere die Schot. Und dann hau dich aufs Ohr. Ich pass schon auf.«
    »Danke, Bantry.« Hewitt war froh, die Pinne aus der Hand geben zu können, denn seit Tagen hatte er sie geführt, stets rechts von ihr sitzend und sie mit der linken, heilen Hand haltend. Er fühlte sich müde und verspannt, und er sehnte sich nach Schlaf. Und dennoch wunderte er sich über Bantrys Angebot. Wer in der Lage war, eine Muskete über Stunden hinweg zu reparieren, der konnte auch das Schiff für eine Weile segeln. »Warum nimmst du die Pinne nicht selbst, Bantry, ist doch viel sicherer?«
    »Halt’s Maul und tu, was ich dir sage.«
    »Schon gut, war ja nur eine Frage.« Der friedfertige Hewitt zuckte mit den Schultern und tat wie ihm geheißen. Als er sich Bantry wieder zuwandte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Seine Pupillen wurden groß, sein Mund öffnete sich zum Schrei, doch da traf ihn schon der Musketenkolben. Es gab einen dumpfen, hässlichen Laut, und Hewitt sackte wie ein Mehlsack zur Seite.
    Bantry grunzte. »Schlafe süß, Milchgesicht, und schlafe auf ewig, denn wenn ich hier fertig bin, renne ich dir das Messer in den Wanst.«
    Er entfernte den Deckel der Zündpfanne, senkte den Hahn und legte den Finger an den Abzughebel. Dann hob er die Waffe an die Wange und visierte sorgfältig sein Ziel an.
    »Dafür also hast du die Muskete repariert«, sagte das Ziel.
    »Wie? Was?« Bantry ließ den Lauf sinken. Für einen Augenblick war er verblüfft.
    Vitus richtete seinen Oberkörper mühsam zu voller Höhe auf. »Dafür also hast du die Muskete repariert«, wiederholte er. Seine Stimme klang ruhig, und nur wer ihn kannte, hätte herausgehört, dass er Angst hatte. Schiere, nackte Todesangst.
    Bantry riss den Kolben wieder an die Wange. »Dafür also hast du die Muskete repariert«, äffte er Vitus nach. »Ja, genau dafür, du hochwohlgeborenes Arschloch.«
    Die Beleidigung traf Vitus wie ein Peitschenhieb. Dennoch musste er unter allen Umständen ruhig bleiben. Und sicher wirken. »Was habe ich dir getan, dass du mich töten willst?«
    »Ja, was hat er dir getan?« Das war die krächzende Stimme des Magisters, der jetzt ebenfalls hochkam. Der kleine Mann blinzelte heftig, denn trotz des Laternenlichts konnte er nicht viel erkennen. Überall im Schiff begann es unruhig zu werden.
    »Biste bekloppt, Bantry?«, erklang es vom Bug. »Mach dich nich unglücklich, Mensch, verstehste, nich unglücklich sollste dich machen, un uns auch nich, hatt doch keinen Zweck, leg das Dings wech, hörste.«
    »Wui, Kaltmacher, tu den Püster weg un verblühe!«
    »Du sollst nicht töten, spricht der Herr, und wer bist du, mein Sohn, dass du die Worte des Herrn missachten willst. Mache deinen Frieden mit Gott dem Allmächtigen ob dieser Sünde und sprich mir nach:
Pater noster qui es in coelis
…«
    »Halt’s Maul, frömmelnder Papist!« Bantry war alles andere als zum Beten zumute. Sein Plan, der auf das Überraschungsmoment baute, drohte zu scheitern. Und das durfte nicht sein. Er wollte es besser machen als der verrückte Fraggles. Und er würde es besser machen!
    Seine Augen hasteten von einer Gestalt zur anderen. Schon kletterten der Magister, der Zwerg und Ambrosius keuchend über die Ruderbänke heran. Woher nahmen sie die Kraft dazu? Eben noch schienen sie schwach und hilflos und dem Tod geweiht, und jetzt vermochten sie sich zu erheben. War es die Todesangst, die ihnen Flügel verlieh? Egal. Er musste handeln, schnell handeln!
    Er wollte erneut auf das verhasste Gesicht zielen, doch der Cirurgicus war schon heran, ergriff den Lauf der Muskete und bog ihn zur Seite. Bantry verlor vorübergehend das Gleichgewicht, seine Linke streifte den Hals seines Gegenübers. Ohne nachzudenken, fasste er