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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nach. Seine große, kräftige Hand packte den Cirurgicus bei der Kehle. Fast liebevoll begann Bantry zuzudrücken.
    Vitus keuchte und kämpfte, während er weiterhin den Musketenlauf von sich fern hielt.
    Bantry lachte innerlich. Halt du nur die Muskete fest!, dachte er. Ich tue es auch, und was ich mit meiner Linken mache, merkst du ja selbst. Er verstärkte den Druck und beobachtete mit satanischem Vergnügen, wie dem Cirurgicus die Augen aus den Höhlen quollen. Gleich würde er jämmerlich erstickt sein, auch wenn der Magister ihm mittlerweile zu Hilfe gekommen war und wie rasend versuchte, die Finger seiner linken Hand zu öffnen.
    Der Cirurgicus wehrte sich verbissen weiter.
    Bantry keuchte. »Warte nur, blasierter Quacksalber!« Er hielt Vitus auf Armeslänge von sich, würgte ihn, trotz des Magisters Bemühungen, unverändert weiter und begann nun, seine rechte Hand mit unwiderstehlicher Stärke zu drehen. Da er mit ihr noch immer das Radschloss der Muskete umklammert hielt, drehte die Waffe sich mit und bedrohte Vitus erneut. Schon hatte Bantrys Zeigefinger den Abzughebel abermals gefunden, und alles schien für den Cirurgicus verloren zu sein, da geschah etwas gänzlich Unerwartetes.
    Vitus ließ einfach los.
    Die Waffe schnellte Bantry gegen den eigenen Kopf, und ohne dass er es verhindern konnte, betätigte er den Abzug. Mit ohrenbetäubendem Knall zerbarst das Radschloss in unzählige Stücke. Metallteile schossen sternförmig in die Luft, glühend und scharfkantig, und griffen Bantry wie tausend wütende Hornissen an. Im Bruchteil eines Augenblicks rissen sie ihm die Gesichtshaut ab und zerbrachen ihm Jochbein und Kiefer. Und stachen ihm beide Augen aus.

Die »Dame« Phyllis
    »Sach mal ehrlich, Vater, du weißt nich,
    was Qualle auf Latein heißt, nich?«
     
    A
n Bord der
Albatross,
Februar A. D. 1578
    Ich, Vitus von Campodios, habe mich entschlossen, weiter zu berichten, denn Grauenvolles hat sich zugetragen. Gott der Allmächtige legte uns eine schwere Buße auf, indem er das Schwarze Erbrechen über uns kommen ließ. Wir waren schwach bis auf den Tod. Der Steuermann Ó Moghráin und der Zimmermann Bride wurden von der Krankheit dahingerafft, und wenn Miss Phoebe und Miss Phyllis nicht gewesen wären, so hätte es uns wohl alle getroffen.
    Wir beten für die Toten. Wir beten auch für den Matrosen Bantry. Er ist ein Schurke, der sich vor zwei Tagen in den Besitz der Muskete brachte und mich erschießen wollte. Doch der Allmächtige gab es, dass der Mann sich selber richtete. Er hatte das Radschloss der Waffe so ungeschickt repariert, dass es beim Betätigen des Abzugs explodierte. Er lebt, aber sein Kopf ist nur noch rohes Fleisch. Ich selbst erlitt ebenfalls Verletzungen, die jedoch vergleichsweise unbedeutend sind, da Bantrys Gesicht den Hauptteil des Splitterregens abfing.
    Die Stimmung an Bord ist gedrückt. Bantrys Qualen überschatten alles. Vater im Himmel, erlöse ihn bald!
    Nach dem Wüten des Fiebers kennt niemand mehr den genauen Tag. Ich werde meine Eintragungen deshalb undatiert fortsetzen, immer dann, wenn das Wetter es zulässt. Die See ist heute ruhig. Gegen Mittag erschien eine Schule Delphine, freundliche, verspielte Tiere, die uns viel zu schnell wieder verließen. Der Wind steht raum aus Ost. Hewitt, der Zuverlässige, sitzt an der Pinne. Er scheint das Schwarze Erbrechen früher schon überlebt zu haben, denn es sprang ihn nicht an.
    Die Nahrungsmittel gehen zur Neige. Welche Prüfungen, Herr, wirst Du uns noch auferlegen?
     
    »Wir haben keinen Lein, der warm und sanft ist und bei Verbrennungen die Hitze aus der Wunde zieht, wir haben kein Mehl, das suppende Stellen trocknet, wir haben kein Natron, wir haben kein Johannisöl, wir haben gar nichts. Von Opium zur Schmerzlinderung oder auch Laudanum ganz zu schweigen. Nichts, einfach nichts. Es ist zum Verzweifeln!«
    Vitus beugte sich über Bantry, den man quer auf die letzte Ruderbank gelegt hatte, und zwang sich, die Augen auf das zu richten, was von seinem Kopf übrig geblieben war. Der Anblick des zerfleischten Gesichts mit den toten Augenhöhlen konnte auch den Hartgesottensten das Gruseln lehren. »Bantry«, murmelte er, »hörst du mich?«
    Bantry nickte kaum merklich. Es war das erste Mal nach dem Mordversuch, dass er eine Reaktion zeigte.
    »Wir können nichts für dich tun, nur beten und den Allmächtigen bitten, dich bald von deinen Leiden zu befreien. Bete auch du und bitte den Herrn um Verzeihung für das, was du

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