Der Chirurg von Campodios
Gepäck.«
»Gut, ich helf Euch.«
Kurz darauf saßen sie erneut auf dem alten Gefährt und zuckelten die Straße hinunter. Der Magister, der neben Pedro saß, blinzelte. »Da vorn ist schon das Escargot! Oder täusche ich mich?«
Der Kutscherjunge antwortete nicht. Dafür sagte Vitus: »Es ist das Escargot, aber merkwürdig ruhig sieht es aus. Niemand geht hinein oder kommt heraus.«
Pedro beschloss, an dieser Stelle das Wort zu ergreifen: »Das Escargot is zu, Achille is tot.«
»Was?« Die Freunde fuhren von ihren Sitzen hoch. »Das kann nicht sein!«
Pedro schwieg. Es bestand kein Anlass, den Satz noch einmal zu wiederholen.
»Was ist passiert? Wieso ist Achille tot? Was ist ihm zugestoßen?«, riefen die Freunde durcheinander, und da keine ihrer Fragen überflüssig war, antwortete der Kutscherjunge:
»Achille is tot, un die Leute sagen, er is so kurios gestorben, wie er kurios gelebt hat. Hat sich anner Grete verschluckt un is erstickt. Is schon ’ne Weile her.« Pedro brachte das Gefährt zum Stehen, denn sie hatten ihr Ziel erreicht.
»Ja, aber«, Vitus war noch völlig verwirrt, »Achille war doch so lebenslustig, so gesund, so …«
»Sie ham ihn irgendwo verscharrt, weiß nich, wo. Er war ja ’n Hugo … ’n Hegu … jedenfalls kein richtiger Christ nich, un der Pfarrer hat gesagt, auf’n Gottesacker gehört er nich hin. Ja, so war’s.«
Der Magister stöhnte auf. »Um Christi willen, das ist ja grauenhaft! Als hätte Achille keine unsterbliche Seele gehabt! So ein verblendeter Pharisäer, dieser Pfarrer! Oh, wie ich solche Ignoranz hasse!« Vor Wut ballte er die Fäuste.
Der Zwerg fistelte: »Alle Kuttengeier sin Kappenhansel, Kugelfranzen, Kapuzenwürger!«
»Ich würde gern herausfinden, wo er begraben liegt, um ihm Lebewohl zu sagen«, murmelte Vitus.
Der Magister beruhigte sich nur langsam. »Die guten Freunde, so gehen sie dahin! Und mit jedem, der fort ist, wird die Welt ein wenig ärmer.«
»Und was ist aus Louise geworden?«, fragte Vitus, einem plötzlichen Gedanken folgend. »Die Arme hat nun ja keinen Brotherren mehr. Es dürfte Ihr schwer fallen, eine neue Stelle zu finden, so, äh … wie sie aussieht.« Mit Scheu dachte er an die Liebesnacht, die ihm seit vielen Wochen nicht aus dem Kopf gehen wollte. Immer wieder hatte die Erinnerung sich ihm aufgedrängt.
»Wui, wui, wie strömt’s Louise?«, wollte auch der Zwerg wissen. »Alleweil den Kürbis unterm Laken?«
»Louise? Nee, nee. Aus Louise is ’ne Schönheit geworden, sagen die Leute.« Unverhofft wurde der Kutscherjunge gesprächig, vielleicht, weil er allmählich zum Jüngling heranreifte und sein Interesse für alles Weibliche wuchs. »Schön wie ’ne Madonna is sie, sagen die Leute, un dass ’n Wunder geschehn is. Eines Tags, ich glaub, Ihr wart gerad weg, Señores, da kam sie un war ’ne Schönheit. Hatte kein schwarzes Gewand nich mehr an, hatte ’ne Haut wie Milch un Blut, ganz fein un ganz weiß, un Zähne wie ’ne Perlenschnur un Haare wie Kupferdraht so rot! Ja, das hatte sie. Alle sagen’s, wahrhaftig, un ich sag’s auch. Hoppla, was is’n los, Señor?«
»Nichts, Pedro, nichts.« Vitus saß da und konnte kein Wort hervorbringen. Er hatte einen Gedanken gehabt, der so ungeheuer war, so bar jeder Vorstellungskraft … »Nichts, Pedro, nichts.«
Auch dem kleinen Gelehrten, sonst niemals um Worte verlegen, hatte es die Sprache verschlagen. »Moment mal, das klingt ja so, als wäre Louise, als könnte Louise …«
Jählings streckte der Zwerg seine Kinderärmchen in die Luft und schrillte: »Wuiiiii, Louise is Arlette!«
Was nun folgte, war ein Freudengebrüll, wie Pedro es sein Lebtag noch nicht gehört hatte. Es dauerte minutenlang und war so laut, dass es die ganze lange Calle de los Oficios hinauf und hinunter zu vernehmen war. Ein Sturm von Fragen prasselte auf ihn herab. Als er sie nach bestem Wissen beantwortet hatte, war klar geworden, dass Louise, die vielleicht Arlette war, von Achille das Escargot geerbt hatte. Der kuriose Hermaphrodit hatte es ihr auf dem Sterbebett vermacht, vielleicht, weil sie sich in seinen letzten Stunden als Einzige um ihn gekümmert hatte. Doch schon nach wenigen Tagen hatte Louise gemerkt, dass mit Achille auch die Seele dieses außergewöhnlichen Etablissements gestorben war. Schweren Herzens hatte sie es daraufhin verkauft.
»Und wo ist Louise nun?«, drängte Vitus. Er sagte absichtlich »Louise«, denn bevor er nicht mit eigenen Augen sah, dass sie
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