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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Arlette war, wollte er noch nicht daran glauben.
    »Wo sie is?«, erwiderte Pedro und merkte gar nicht, wie überflüssig seine eigene Frage war. »Tja, man sagt, sie will nach England fahrn, mit der
Boisterous

    »Und wann geht das Schiff? Oder ist es schon in See gestochen?«
    »Weiß nich genau, gestern oder heut sollt’s gehen, denk ich, vom Anleger sieben.«
    »Und das sagst du erst jetzt?«, brüllte der Magister. »Los, nichts wie hin zum Anleger sieben!«
    »Ja doch, ja.« Pedro ließ die Peitsche knallen.
    »Mensch, Vitus, stell dir vor, das Schiff liegt noch da, und Arlette ist an Bord!«
    »Das glaube ich erst, wenn ich sie sehe.« Vitus’ Stimme klang ganz klein.
     
    »Hüa! Hüa! Hüa!« Pedro feuerte seinen Braunen ein letztes Mal an, als das Gefährt in die Auffahrt zum Anleger sieben einbog. Eine halsbrecherische Fahrt lag hinter ihm, bei der er all seine Geschicklichkeit hatte aufbieten müssen, um nicht den einen oder anderen Habanero zu überfahren.
    Keinen der Insassen hielt es mittlerweile noch auf dem Sitz. Der Zwerg stand hoch aufgerichtet hinter dem Magister und fistelte: »Da vorn, ihr Gacken! Das is der Kahn! Das musser sein!« Er wies auf eine mächtige Galeone, die noch fest an der Pier vertäut war. Ein großer Pulk Menschen drängte sich um die Laufbrücke, die an Bord führte. Reges Treiben herrschte darauf. Kisten, Ballen und Fässer wurden noch übernommen. Tauwerk und Kanonenkugeln, Ersatzstengen und -segel, Frachtgut wie Mahagoniholz, Tabak, Kakao, Tierhäute, Ambra, Zucker und vielerlei mehr.
    Auf dem Anleger selbst hatten sich fahrende Händler ausgebreitet, die noch schnell ein Geschäft machen wollten. Stände mit Leckereien waren aufgeschlagen worden, Gaukler, Possenreißer und Antipodisten traten auf, sogar ein Priester stand da, der mit lauter Stimme den Segen des Herrn auf das Schiff herabflehte.
    Pedro hatte mittlerweile seinen Karren zum Stehen bringen müssen, zu groß war das Gedränge geworden. Der Zwerg verharrte noch immer hoch aufgerichtet und machte das Hälschen lang. »Un da! Die Schöne inner grünen Schale, das isse, das isse, ich wett meinen Kürbis, dasse ’s is!«
    »Wo? Wo?« Vitus war heiser vor Aufregung. Sein Herz klopfte wie ein Schmiedehammer und nahm ihm die Luft. »Großer Gott, ich glaube, ich sehe sie! Sie geht da hinten, scheint Träger dabeizuhaben. Mein Gott, Magister, sieh nur, sieh! Ach, du kannst ja nichts sehen …«
    Der kleine Gelehrte fuchtelte mit den Armen. »Worauf wartest du noch? Lauf hin zu ihr!«
    Doch Vitus war schon vom Wagen gesprungen und in die Menge eingetaucht. Ohne Rücksicht zu nehmen, drückte, schob, drängte er sich durch die Massen, trat hier jemandem auf den Fuß, stieß dort jemanden beiseite, wurde beschimpft, bedroht, doch er kümmerte sich nicht darum, eilte weiter, den Kopf hoch erhoben und nach der Frau in dem salamandergrünen Kleid spähend. Da! Sie wies auf die Laufbrücke, und ihre Träger schickten sich an, das Gepäck an Bord zu tragen. Warte, Arlette!, wollte er rufen, aber die Stimme versagte ihm. Er hetzte weiter, nur noch wenige Schritte – ich komme, ich komme! Die junge Frau hatte jetzt selbst die Laufbrücke betreten. »Arlette! Arleeeeette!«
    Sie hatte den Ruf gehört, doch sie entdeckte ihn nicht. »Warte, ich komme, ich komme!« Endlich war er heran und stürzte auf den Steg. »Arlette!«
    Sie fuhr herum und stolperte über ein Matrosenbein, strauchelte und fiel fast, doch Vitus fing sie im letzten Moment auf. »Arlette, ich bin’s!«
    Sie blickte ihn an, und ihr Gesicht, eben noch neugierig, wer sie wohl gerufen habe, und erschreckt ob des unverhofften Stolperns, nahm einen grenzenlos ungläubigen Ausdruck an. Dann, nach einer kleinen Ewigkeit, begannen ihre Mundwinkel zu zucken, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Er sah sie an und sah vor sich die schönste Frau der Welt. Tausendmal hatte er sich überlegt, was er ihr alles sagen wollte, doch nun brach nur das eine Wort immer wieder aus ihm hervor: »Arlette, Arlette, Arlette …«
    Er schloss sie in die Arme, und sie standen da, die Welt um sich vergessend.
    Und die Weissagung der alten Marou, die für das Wiedersehen Wasser, Holz und Eisen und das Straucheln von Arlette angekündigt hatte, sie war in Erfüllung gegangen.
     
    »Ihr seht mich untröstlich, Lady Arlette.« Jonathan Coolidge, Eigner und Kapitän der
Boisterous
, wanderte in seiner Kajüte auf und ab, die Hände auf dem Rücken gefaltet. »Ich habe nur die

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