Der Chirurg von Campodios
wech is.«
Stout fiel die Kinnlade herab. »Wech?«
»Wech, davon un moll perdu.«
Man schrieb Montag, den 23. Dezember 1577, und die ungeheuerliche Eröffnung des Zwergs lag erst zwei Tage zurück. Stout saß in seiner Kajüte und hatte den Schicksalsschlag noch immer nicht verwunden. Nachdem die Missgeburt ihm von dem Verlust berichtet hatte, war er, außer sich vor Wut, auf seinen neuen Koch zugestürzt, hatte ihn bei einem seiner Kinderärmchen gepackt und hochgerissen. »Wer war das?«, hatte er ein ums andere Mal geschrien. »Sagt mir augenblicklich den Namen dieses Hundsfotts! Ich lasse den Burschen kielholen, verprügele ihn eigenhändig mit der Neunschwänzigen, hacke ihm die rechte Hand ab!«
Doch der Zwerg, diese hinterlistige Nachgeburt einer Hafenschwalbe, hatte sich seinem Griff entwunden. »Ich weiß nix, bei der Jungfernschaft der heiligen Marie, nix weiß ich.« Der Gnom hatte die Unverfrorenheit besessen und dabei gegrinst, wobei kleine, nadelspitze Zähnchen sichtbar geworden waren. Dann, ehe Stout sich’s versah, hatte er sich seinem Griff entwunden und war aus der Tür entwischt.
Umgehend hatte Stout Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um wieder an sein Schaf zu kommen: Er hatte die Mannschaft zusammentrommeln lassen, war vor sie hingetreten und hatte ihr die drakonischsten Strafen angedroht. Er hatte geschrien und gewütet und immer wieder auf das 8. Gebot im 2. Buch Mose verwiesen: DU SOLLST NICHT STEHLEN !
Doch die Männer hatten mit grimmiger Miene dagestanden – eine Fleisch gewordene Mauer des Schweigens. Endlich hatte er sich den ersten Besten geschnappt, es war der Matrose Killing gewesen, und gerufen: »Einer für alle! Wenn ihr das Maul nicht aufkriegt, muss Killing dafür büßen! Er bekommt fünfzig Hiebe! Nun, wie findet ihr das?«
Doch selbst das hatte die Mauer nicht zum Einsturz gebracht. Am anderen Morgen war Killing mit nacktem Oberkörper an eine aufrecht gestellte Gräting gebunden worden. Bevor Powell mit der Bestrafung begann, hatte sich sein Schiffschirurg, Vitus von Campodios, noch einmal für den Mann verwendet. Er sei es ja nicht gewesen, und der Kapitän könne nicht ausschließen, dass Killing tatsächlich nichts wisse. Doch Stout hatte die Einwände mit einer Handbewegung beiseite gewischt. Dann war die Strafe vollzogen worden. Killing hatte die Schläge mit zusammengebissenen Zähnen über sich ergehen lassen, und kein Laut war dabei über seine Lippen gekommen. Anschließend war Stout nichts anderes übrig geblieben, als die Männer wieder auf ihre Posten zu schicken.
Und nun saß er hier und hatte schon wieder das nächste Problem: Heiligabend. Der Abend, an dem der Heiland geboren worden war.
Der Decksmann Ambrosius war am Nachmittag auf ihn zugekommen, hatte vorschriftsmäßig gegrüßt und darum gebeten, aus diesem Anlass einen Gottesdienst auf dem Hauptdeck abhalten zu dürfen. Er sei zwar katholischen Glaubens, aber der Gott, zu dem er bete, sei derselbe wie jener der Anglikaner. Geschätzte Dauer der Veranstaltung: eine Stunde, mit gemeinsamem Singen vielleicht auch anderthalb.
Stout hatte geglaubt, nicht richtig zu hören. Ein ehemaliger Priester, der seine Männer von der Arbeit abhalten wollte!
Er hatte Ambrosius fortgejagt und geglaubt, das Thema Weihnachten sei damit erledigt. Doch dann war ihm siedend heiß eingefallen, dass er am Abend des 24. Dezember die wichtigsten Persönlichkeiten an seine Kapitänstafel laden musste. Ein Brauch, der so alt war wie die christliche Seefahrt selbst und um den man sich beim besten Willen nicht drücken konnte. Das Essen würde ihn wieder Unsummen kosten!
Der Geizhals stöhnte auf und ließ nach seinem neuen Schiffskoch schicken. Wenig später erschien der Zwerg. »Wui, Herr Kaptein, wo drückt die Galosch?«
Stout überging die ungebührliche Anrede. Er hatte andere Sorgen. »Was könnt Ihr morgen, am 24., auf meine Tafel bringen? Ich werde Gäste haben.«
»Wiewo? Tafel bringen? Gäste haben?« Der neue Koch verstand nicht. Oder er stellte sich dumm.
Stout wies ungeduldig auf den Kartentisch aus Mahagoni. »An diesem Tisch pflege ich am Heiligen Abend Gäste zu empfangen. Was kann ich ihnen als Speise bieten?«
»Oh, wui! Bauerndegen, Böllerlein, Schwärmer un Bäckling, un dazu schmerftige Maden un Schimmel.«
»Redet vernünftig!« Der Kapitän merkte, wie ihm schon wieder der Kamm schwoll.
»Wui, wui!« Der Zwerg verbeugte sich. »Bauerndegen sin Bohnen, Böllerlein sin Erbsen,
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