Der Clan
demokratischer Mensch war. Seine joviale und herzliche Art, mit der er selbst mit den Müllmännern und mit Taxifahrern umging, erstaunte seine Nachbarn und Freunde gelegentlich immer noch. Und er war alles andere als weltfremd oder blind. Es war ihm durchaus bekannt, daß seine schöne amerikanische Frau eine langjährige Beziehung mit Angelo Perino und kürzere Affären auch mit anderen Männern hatte. Nicht, daß ihm dies gleichgültig gewesen wäre. Aber er wollte auch kein Aufhebens davon machen und damit ihre Ehe gefährden. Aus einer Reihe von Gründen war er nämlich auch ausgesprochen stolz auf seine Ehe, nicht zuletzt, weil sie inzwischen schon sehr viel länger hielt, als seine anfangs aufgebrachte Familie und seine spöttischen Freunde vorhergesagt hatten. Betsy erfüllte alle ihre ehelichen Pflichten, so wie er ebenfalls. Sie hatten in dieser Hinsicht beide keine Beschwerden gegeneinander vorzubringen.
»Da ist etwas«, sagte Betsy an diesem Morgen, »was ich mit dir besprechen möchte.«
»Ich hoffe, nichts Schlimmes.«
»Doch. Van wird morgen wieder hier sein. Das ist schon das zweite Mal seit den Weihnachtsferien, daß er wieder hierherkommt. Und ich weiß auch, warum. Der Grund ist ein Mädchen.«
»Was ist daran denn so schlimm?«
»Der Junge ist noch so völlig unerfahren, George. Von der Privatschule hier in England kam er in das Internat in Frankreich und von da direkt nach Amerika, wo er sich vom Fleck weg in Anna Perino verliebte. Dieses Mädchen jetzt hat er in der Theaterpause kennengelernt. Er ist verrückt nach ihr. Sie will nach Amerika, sagt er. Und wenn das geschieht, geht natürlich seine Beziehung zu Anna kaputt. Und da hätten wir dann eine ausgewachsenen Tragödie.«
»Ach, weißt du«, sagte George abgeklärt, »erfahrungsgemäß läßt sich in solchen Dingen absolut nichts tun.«
»Du kannst aber doch etwas tun, für mich. Sie sagt, sie sei eine Lady Penelope Horrocks. Finde heraus, wer das ist. Verschaffe mir Unterlagen über ihre Herkunft.«
»Mein Spezialgebiet ist das ja nun nicht gerade, wie du gut weißt.«
»Ach, irgend jemand im Oberhaus wird doch wohl jemanden kennen, der Nachforschungen anstellen kann. Ich muß das wissen, George. Und zwar schnell.«
1993 1
Van machte im Juni seinen Abschluß in Harvard. Er hatte sich noch nicht um die anschließende Aufnahme in die Law School beworben und erklärte, er wolle den Sommer in London verbringen.
Alicia gab eine Party für ihn. Betsy kam und Max van Ludwig, und aus Detroit flogen Loren und Roberta dazu ein. Sämtliche Perinos waren ebenfalls da und außerdem Amanda Finch, Dietz Keyser und Marcus Lincicombe.
Ausnahmsweise einmal waren Angelo und Loren einer Meinung. Beide nahmen sie Van beiseite und fragten ihn, warum in aller Welt, er sich denn nicht für die Law School, also das spezielle Jurastudium, beworben habe. Dieselbe Frage stellte ihm auch sein Vater.
Dem jungen Herrn ging die dreimal gestellte Frage aber sichtlich auf die Nerven, und er antwortete jedesmal nur kurz und abweisend.
Betsy fragte ihn nicht. Sie wußte, warum.
Am Tag nach der Party packte Van seine Sachen in Alicias Haus. Anna war bei ihm.
Sie weinte. »Da sehe ich dich jetzt nicht mehr bis - bis wann, Van? Wann sehen wir uns wieder?«
»Ich ... na ja, ich komme ja wieder. Ich war nur so lange von meiner Mutter und auch meinem Vater weg, da muß ich einfach mal etwas Zeit mit ihnen verbringen, nicht nur ein paar Tage dann und wann. Das sind halt auch Verpflichtungen.«
»Aber die Law School. Wieso hast du nicht ...«
»Alle Leute haben beschlossen, daß ich Jura studieren und Anwalt werden soll. Ich selbst bin mir da aber noch keineswegs sicher. Ich brauche Zeit, darüber nachzudenken.«
Anna saß auf dem Bett und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort. »Du bist sehr kalt zu mir geworden, Van«, sagte sie. »Ist es deswegen, weil wir immer noch keinen Sex hatten? Wenn es daran liegen sollte, bin ich bereit, ihn dir zu geben. Jetzt auf der Stelle.«
»Nein, Anna«, sagte er. »Daran liegt es nicht.«
»Woran denn?«
»Es ist einfach, daß ... Wir sind halt noch nicht richtig erwachsen, beide nicht. Wir müssen uns die Zeit nehmen, über alles noch einmal nachzudenken.«
Anna lief weinend aus dem Haus.
2
Betsy sah Anna nicht. Sie kam erst fünf Minuten später nach oben zu Van. Sie klopfte kurz an und trat ein.
»Ja, Mutter?«
Betsy setzte sich auf das Bett, wo Anna eben noch gesessen hatte. Sie war leger gekleidet,
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