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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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was Saga auch immer fordern mochte, er würde nicht gleich einwilligen, nicht bevor er sich mit Kaede beraten hatte.
    Mit einer Leidenschaft, die von der Trauer noch geschürt wurde, sehnte er sich in diesem Moment nach Kaede. Nicht nur nach ihrem Körper, sondern auch nach ihrer Weisheit, ihrer Klarheit, ihrer sanften Kraft. Ohne sie bin ich nichts , dachte er. Er sehnte sich danach, zu Hause zu sein.
    Es fiel ihm nicht schwer, Shigeko zu überreden, zeitig zu Bett zu gehen, und auch Gemba ging schlafen. Takeo blieb allein zurück. Vor ihm lagen die lange Nacht und der nächste Tag, und obwohl er von Trauer und Furcht erfüllt war, musste er beides zügeln.

KAPITEL 40

    Minoru kam wie üblich bei Anbruch der Dämmerung, gefolgt von Dienerinnen, die Tee brachten.
    Â»Scheint ein schöner Tag zu werden«, sagte er. »Ich habe Aufzeichnungen der gestrigen Ereignisse vorbereitet und ich werde auch heute alles aufzeichnen.«
    Als Takeo die Schriftrollen wortlos zur Hand nahm, sagte der Schreiber vorsichtig: »Sie sehen nicht gut aus, Lord Otori.«
    Â»Ich habe einfach nur schlecht geschlafen. Ich muss in Form bleiben, um weiter zu blenden und zu beeindrucken. Es geht nicht anders.«
    Minoru, überrascht von Takeos bitterem Ton, hob unmerklich die Augenbrauen.
    Â»Aber Ihr Besuch ist doch ein großer Erfolg gewesen.«
    Â»Das werden wir erst am Ende dieses Tages wissen.«
    Takeo fasste einen plötzlichen Beschluss und sagte: »Ich diktiere dir jetzt etwas. Sag nichts dazu und behalt es für dich. Mach dich darauf gefasst, dass du unsere Heimkehr etwas früher als vorgesehen organisieren musst.«
    Minoru bereitete den Tuschstein vor und griff schweigend zum Pinsel. Takeo erzählte leidenschaftslos alles, was Mai ihm am Abend zuvor berichtet hatte, und Minoru schrieb es auf.
    Â»Das tut mir leid«, sagte er, als er fertig war. Takeo sah ihn vorwurfsvoll an. »Ich entschuldige mich nur für meinen Mangel an Geschick. Meine Hand hat gezittert und die Schrift ist nicht sehr gut.«
    Â»Solange es lesbar ist, tut das nichts zur Sache. Bewahre die Aufzeichnung gut auf, denn ich werde dich heute Abend oder morgen bitten, sie vorzulesen.«
    Minoru verneigte sich. Takeo war sich des stillen Mitgefühls seines Schreibers bewusst. Und dass er die Neuigkeit von Takus Tod mit jemandem geteilt hatte, linderte seinen Schmerz ein wenig.
    Â»Lord Saga hat Ihnen einen Brief geschickt«, sagte Minoru und zog die Rolle hervor. »Offenbar hat er ihn gestern Nacht geschrieben. Er erweist Ihnen damit eine große Ehre.«
    Â»Lass sehen.« Die Schrift spiegelte den kühnen und kraftvollen Mann wider. Die noch frischen Pinselstriche waren tiefschwarz und energisch, der Stil war kantig.
    Â»Er gratuliert mir zu der Gunst, die mir der Kaiser gewährt, und zum Erfolg meines Geschenks und wünscht mir viel Glück für heute.«
    Â»Ihre Beliebtheit beunruhigt ihn«, sagte Minoru. »Und er hat Angst, dass Sie auch nach einer Niederlage beim Wettkampf in der Gunst des Kaisers stehen könnten.«
    Â»Ich werde mich an unsere Vereinbarung halten und erwarte, dass er dies auch tut«, erwiderte Takeo.
    Â»Aber er erwartet, dass Sie einen Vorwand suchen, um sich herauszuwinden, und fühlt sich daher an nichts gebunden.«
    Â»Minoru, du bist zu zynisch geworden! Lord Saga ist ein großer Kriegsherr aus einem uralten Clan. Er hat unsere Abmachung öffentlich verkündet. Er kann keinen Rückzieher machen, ohne Schande über sich zu bringen, und mir geht es genauso!«
    Â»Aber das ist genau die Art, auf die Kriegsherren zu Größe gelangen«, murmelte Minoru.
    Die Straßen waren noch überfüllter als am Vortag und die Menschen tanzten schon ausgelassen. Die Atmosphäre war fiebrig, denn der Tag war heiß und die Schwüle ein Vorbote der Regenzeit. Die Arena vor dem Großen Schrein war auf allen vier Seiten dicht mit Zuschauern besetzt: Frauen in Kapuzengewändern, Männer in leuchtend bunten Kleidern, Kinder, und alle hatten Sonnenschirme und Fächer. Neben dem Außenkreis mit dem roten Sand warteten die Reiter. Die Pferde von Sagas Mannschaft hatten rote Schwanz- und Brustriemen, Shigekos weiße. Die Sättel waren mit Perlmutt verziert und die Mähnen der Pferde geflochten. Stirnhaar und Schweife glänzten so seidig wie das Haar einer Prinzessin. Ein dickes gelbes Strohseil trennte den äußeren

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