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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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musste sich sofort entscheiden, und zu handeln schien besser, als nichts zu tun. Er drehte Matsuda auf die Seite, legte ihm mehrere Kleidungsstücke unter den Kopf und deckte ihn zu. Er füllte eine Schale mit Wasser aus der Quelle, befeuchtete Matsudas Lippen und stellte die Schale neben ihn.
    Dann lief er den Bergpfad hinab und schrie im Gehen: »He! Kann mich jemand hören? Kommt zurück! Kommt zurück!«
    Etwa zwei Meilen weit war er blindlings gerannt, daerkannte er, dass es sinnlos war. Die Mönche hatten zu viel Vorsprung, er würde sie nie einholen. Die Sonne schien mit letzter funkelnder Kraft, dann wurde sie von den Gewitterwolken verschluckt. Ein Blitz zuckte kurz auf, danach schien die Welt in Finsternis zu fallen. Donner krachte über ihm und fast sofort regnete es in Strömen.
    Innerhalb von Sekunden war er völlig durchnässt. Genau, wie Matsuda gesagt hatte, kam das Unwetter noch vor der Mittagsstunde. Shigeru machte sich jetzt noch mehr Sorgen, weil er den Alten alleingelassen hatte. Er musste zu ihm zurück. Doch als er sich umdrehte, wusste er nicht mehr, wo er war. Der Regen raubte ihm die Orientierung und es dauerte nicht lange, da wurde ihm klar, dass er eine falsche Biegung genommen hatte, als er überstürzt den Berg hinuntergestürmt war. Er versuchte auf dem gleichen Weg zurückzugehen, doch der Pfad war schon von Wasser überspült, und ohne Sonne wusste er noch nicht einmal, welche Richtung er einschlagen sollte.
    Vor ihm krachte es entsetzlich, als ein Blitz in die Spitze einer Zeder fuhr. Der Baum leuchtete auf, sein Holz prasselte im Feuer und dampfte, während der Regen die Funken löschte. Shigeru blieb einen Moment stehen, er fürchtete, die Zeder könnte umstürzen, doch obwohl sie gespalten war, fiel sie nicht. Aber als er anhielt, glaubte er durch den Regen eine Gestalt vor sich zu sehen, einen Mann, der unter einem überhängenden Felsen Schutz gesucht hatte.
    Er rief: »He, hilf mir bitte, ich habe mich verirrt.«
    Der Mann drehte Shigeru den Kopf zu. Ihre Blicke trafen sich. Der Mann verschwand.
    Er hatte sich nicht bewegt, war auch nicht weggelaufen. Er war einfach verschwunden. In einem Moment war er da gewesen, im nächsten nicht mehr.
    Ich habe einen Kobold gesehen, dachte Shigeru, aber in diesem Augenblick hätte er auch Hilfe von einem Dämon aus der Hölle angenommen. Er lief zu dem Felsen und schrie dabei: »Geh nicht weg! Mein Lehrer ist verletzt. Ich habe mich verlaufen und muss zu ihm zurück.«
    Der Regen fiel wie eine Wasserwand vom Felsen; Shigeru trat hindurch und stand im Trockenen, er wischte sich das Wasser aus den Augen. Der Gewitterlärm übertönte alle anderen Geräusche, doch plötzlich spürte er, dass jemand dicht bei ihm war. Er streckte die Hand aus und schrie wider Willen auf, als er einen Arm berührte, der allmählich sichtbar wurde.
    Der Arm gehörte keinem Kobold, mit vorquellenden Augen oder langer Nase, aber die Erscheinung musste etwas Übernatürliches sein, ein Berggeist oder das ruhelose Gespenst eines hier Ermordeten, der nicht gerächt worden war. Shigeru sah einen jungen Mann, vielleicht sieben oder acht Jahre älter als er, mit blassem, lebhaftem Gesicht und seltsamen dunklen Augen, die spöttisch und neugierig zugleich wirkten. Abgesehen von den Augen war nichts Außergewöhnliches an ihm. Er trug gewöhnliche Kleidung, eine kurze Jacke über einem Lendentuch, die Beine waren nackt und ein Tuch verbarg sein Haar. Er schien nicht bewaffnet zu sein, aber Shigeru bemerkte, wie seine rechte Hand sich der Brust näherte, und nahm an, dass dort eine Waffe versteckt war.
    Er selbst war völlig unbewaffnet aus der Hütte gestürzt. Aber welche Waffen wären auch wirksam gegen diesen Berggeist, der nach Wunsch erscheinen und verschwinden konnte?
    Shigeru zwang sich zu sagen: »Wer oder was auch immer du bist, bitte hilf mir. Mein Meister ist verletzt. Ich wollte Hilfe holen und habe mich verlaufen. Er ist in der Hütte bei der Quelle, wo der Schrein steht.«
    Â»Dein Meister? Wer ist das?«
    Â»Matsuda Shingen aus Terayama.«
    Â»Und wer bist du?«
    Â»Nur einer seiner Novizen. Ich bitte dich, zeige mir den Weg.«
    Der Mann lächelte schwach, antwortete aber nicht. Er trat einen Schritt zurück, Regen übergoss ihn und er verschwand wieder.
    Shigeru unterdrückte einen Schrei der Enttäuschung und

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