Der Clan der Wildkatzen
Treppe hinauf. Jetzt konnte er Datura besser erkennen. Der Kater hatte weißes Fell, das sauber war und glänzte trotz des Schmutzes im Haus, nur an der Schwanzspitze hatte er einen schwarzen Ring. Seine Augen waren eigenartig: Eins war blau gesprenkelt, das andere von einem grellen Gelb. Er betrachtete Southpaw neugierig, aber lässig. Dem kleinen Kater wurde flau im Magen, als er diesen Blick wiedererkannte: Southpaw hatte ihn schon oft bei Miao gesehen, wenn die alte Kätzin auf die Jagd ging. Er sagte so viel wie: Hallo, Beute.
Um den kleinen Kater herum wurde der Kreis wilder Katzen immer größer. Sie krochen unter uralten Holzschränken hervor oder ließen sich von bröselnden Samtvorhängen herunter. Southpaw wandte den Blick von Datura ab, drehte sich um und sah sich seine Verfolger an, einen nach dem anderen. Das Herz wurde ihm schwer. Ratsbane lag vor der Tür und versperrte den einzigen Fluchtweg. Außerdem waren es viel mehr Katzen, als er erwartet hatte, mindestens fünfzehn, vielleicht sogar zwanzig.
Ein langsames Klopfen von oben brachte Datura dazu, aufzublicken. Der Schwanz der weißen Katze zuckte verärgert hin und her, und er gab den anderen Katzen ein Zeichen, sie sollten bleiben, wo sie waren. Southpaw drückte sich an den Boden und bemühte sich, den Brei unter seinem Bauch, der sich wie schimmelige Zeitungen anfühlte, nicht zu beachten. Doch von dem Geruch wurde ihm übel.
Vielleicht sollte er sich einfach ergeben– die meisten Kater und Kätzinnen würden nicht gegen ein Kätzchen kämpfen, das sich auf den Rücken legte und die Kehle zum Zeichen der Unterwerfung darbot. Allerdings hatte er für sein Alter schon einen riesigen Stolz. Southpaw sah zu Ratsbane hoch, der die gelben Zähne gefletscht hatte, und dann zu Datura. Ganz abgesehen von seinem Stolz sagte ihm sein Instinkt, dass diese beiden Unbezähmbaren ihn wie eine Maus in Stücke reißen würden, wenn er ihnen die Kehle hinhielte.
» Das Frischfleisch hat nicht genug Angst, Datura«, sagte Aconite genau hinter Southpaw. » Soll ich ein bisschen mit ihm spielen?« Und ehe das Kätzchen davonlaufen konnte, traf ihn eine Pfote schwer auf den Rücken, ein harter Schlag, und die Katzenkrallen zogen schmerzhaft über seine Haut.
Southpaw miaute und drehte sich um, um zurückzuschlagen. Doch die Katze– eine magere Graue mit boshaften goldenen Augen– umkreiste ihn träge und trabte genau außerhalb seiner Reichweite. In diesem Moment kam es Southpaw so vor, als verginge die Zeit langsamer, und beinahe hörte er Miaos Stimme, wie sie draußen im Park den älteren Kätzchen gesagt hatte: » Lasst niemals euren Rücken ohne Deckung! Eure Schnurrhaare und euer Fell müssen euch immer mitteilen, was hinter euch los ist, ganz egal wo ihr seid!« Er drückte sich flach auf den Boden und rollte sich gerade rechtzeitig herum, um den klappernden Zähnen von Ratsbane zu entgehen. Der schwarze Kater war von der Tür herübergekommen, angestachelt durch die Aussicht auf Spaß, und hätte Southpaw die Pfoten oder den Schwanz durchgebissen, wenn er sich nicht bewegt hätte.
Der Kreis der Katzen zog sich enger um Southpaw und sein Herz klopfte heftig vor Angst. Er starrte Aconite in die Augen, und auf einmal begriff er: Hier ging es nicht um ein Spiel oder um die oft rücksichtslose Verteidigung des Reviers gegen Eindringlinge. Der kleine Kater schlug nach Aconites Nase und sah, wie das Blut floss. Southpaw genoss den kleinen Sieg, als die Katze aufheulte und zurückwich, doch er spürte, wie Ratsbane und andere Katzen immer näher kamen. Er fuhr herum, schlug blindlings um sich und trieb drei Möchtegern-Raubtiere zurück. Seine Größe war sein Vorteil– er war so klein, dass er für die Unbezähmbaren ein schwer zu fassendes Ziel war.
Ihm war nun klar, dass ihn diese Katzen töten würden, sobald sie damit fertig waren, mit ihm zu spielen. Eigenartigerweise schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. » Ihr tut mir leid«, sprach er ihn aus. Die Schnurrhaare im gesamten Raum kamen kurz zur Ruhe, doch dann knisterte es um ihn herum vor Zorn.
» Wir tun ihm lei d ?«, fragte Aconite ungläubig.
» Ich möchte ihn Stück für Stück auseinandernehmen«, sagte Ratsbane. » Ich breche ihm alle Pfoten, damit er schreit wie dieser Streuner, und dann reißen wir ihm die Schnurrhaare und die Zunge raus, Datura. Ich möchte ihm mit meinen Zähnen eigenhändig die Knochen brechen.«
Die weiße Katze zuckte kaum mit dem Ohr, dennoch kehrte Stille im
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