Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
Wasser war genug da, aber nur wenig zu fressen. Ein, zwei Ratten und hin und wieder eine Fledermaus, das war alles. Faolan lernte schnell, die Fledermäuse von den Wänden zu pflücken, wenn sie sich dort kopfüber zum Schlafen niedergelassen hatten, was sehr komisch aussah. In Wahrheit aber nährten ihn nicht die wenigen Fledermäuse und Ratten, sondern die Geschichten und Bilder, die das Schönste waren, was er je gesehen hatte. Mit der Zeit entwickelte er einen wahren Kennerblick und lernte immer besser zu würdigen, wie gut der Künstler, der die Figuren gemalt hatte, Bewegung, Geschwindigkeit und Masse auf die Steinfläche gebannt hatte. Das Ganze war so lebendig, dass er die Bewegungen fast körperlich spüren konnte.
Nur das Spiralmuster, das der Zeichnung auf seiner gespreizten Pfote glich, blieb ihm rätselhaft, obwohl er auf seinen Erkundungsgängen durch die Höhle immer wieder darauf stieß.
Manchmal waren die Durchgänge in der Höhle blockiert. Als er das erste Mal in einer solchen Sackgasse landete, war er tief enttäuscht, weil er gerade zu einem interessanten Teil der Clan-Geschichte gekommen war: Der Fengo lebte nun schon mehrere Jahre mit seinen Wölfen in den Hinterlanden und hatte Bekanntschaft mit einer Eule geschlossen. Es war die erste Eule, die Glut sammelte, das Urbild aller Glutsammlereulen. In diesem Abschnitt tauchte das Spiralmuster besonders häufig auf. Faolan wollte schon den Rückzug antreten, als er einen feuchten Luftzug spürte. Woher sollte so tief unten in der Höhle ein Luftzug kommen? Er schnüffelte ein wenig herum und die vermeintliche Sackgasse entpuppte sich als ein Haufen Felstrümmer, die wohl bei einem Erdrutsch heruntergekracht waren.
Mit Feuereifer begann er zu graben. Bei jedem Felsbrocken, den er mit der gespreizten Klaue aus dem Weg räumte, dankte er Donnerherz im Stillen dafür, dass sie ihn gezwungen hatte, nicht nur seine gesunde Pfote zu benutzen. Die gespreizte Klaue wäre sonst nie so kräftig geworden. Allmählich konnte er es kaum noch erwarten, das Geheimnis des Spiralmusters zu lüften.
Als der ganze Schutthaufen endlich fortgeräumt war, trat Faolan in eine weite Ausbuchtung. Dort waren Bilder versammelt, die alles Bisherige in den Schatten stellten. Der Raum war rund, ideal für den Gegenstand der Bilder, die hier zu sehen waren. Staunend blickte Faolan sich um. Er stand inmitten der fünf Heiligen Vulkane: Dunmore, Morgan, H’rathgar, Kjell und Sturmwind. Auf den ersten Blick sahen diese Vulkane ziemlich gleich aus. Doch bei genauerem Hinsehen wiesen zwei von ihnen feine, aber deutliche Unterschiede auf – H’rathgar und Dunmore, auch wenn er die Namen der beiden Vulkane in diesem Moment noch nicht erspüren konnte. Eulen flogen um die Vulkane herum. Einige von ihnen schossen in die heißen Glutströme hinunter, die über die Hänge der Vulkane quollen. H’rathgar war beinahe durchsichtig. Die Glut in dem blubbernden Vulkantrichter sah ganz anders aus als die Glutströme an den Hängen. Diese besondere Glut war orange mit einem Hauch von Blau, das in der Mitte mit Grün vermischt war, demselben Grün wie Faolans Augen. Ein brodelnder Lavakessel fasste die Glutbröckchen ein. Und in diesen Kessel schoss eine Eule mit weißem Gesicht und goldbraunem Gefieder hinunter, um die Glut heraufzuholen. Faolan stockte bei diesem Anblick der Atem: Wollte die Eule sich etwa umbringen? Aber dann sah er einen zweiten Vulkan direkt gegenüber, der von einer gewaltigen Eruption erschüttert wurde. Aus dem Flammenwall flog eine prächtige Eule hervor. Sie hatte ein gesprenkeltes Gefieder und in ihrem Schnabel trug sie dieselbe rätselhafte Glut, auf die es auch die weißgesichtige Eule abgesehen hatte. Zwei Vulkane und zwei Eulen, die sich in eine lodernde Flammenwand stürzten, nur um diese besondere Glut zu bergen. Was hatte das zu bedeuten? Faolan spürte, dass die beiden Eulen durch große Zeiträume getrennt waren. Aber ihre Geschichten waren miteinander verflochten – und sie waren mit der Geschichte der Wölfe verbunden.
Langsam durchwanderte er den runden Raum und zerbrach sich den Kopf, wie die verschiedenen Teile dieses Bilderrätsels zusammenpassten. Dann fiel sein Blick auf turmhohe Knochenhügel, die er anfangs gar nicht bemerkt hatte. Auf jedem dieser Hügel hockte ein Wolf. Irgendwie dämmerte ihm, dass die Wölfe dort hockten, um Wache zu halten oder etwas dergleichen. Wahrscheinlich beschützten sie die Glut vor den Schattengestalten, die
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