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Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)

Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)

Titel: Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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suchte nach einer Duftspur, die ihm verriet, dass ein Bär hier gelebt hatte. Donnerherz’ Geruch würde er überall erkennen, obwohl sie unterschiedlich roch, je nachdem was sie gefressen hatte. Im Frühling, wenn sie gierig Wurzeln, Gras und Knollen verschlang, lag etwas Feucht-Grünes in ihrem Geruch. Davon war hier nichts zu wittern, nicht der geringste Hauch. Genauso wenig wie der trockene Kleegeruch des Sommers oder der beißende Fischgeruch, der an Donnerherz’ Fell haftete, wenn im Herbst die Lachse sprangen. Wie seltsam, dass sich so viele Tiere auf den Wänden tummelten. Sie wirkten springlebendig, obwohl die Höhle unbewohnt war.
    Unbewohnt, aber nicht leblos. Faolan scharrte mit der Pfote über die harte Oberfläche, bis die Drüsen in seinem Fuß seinen eigenen Geruch freisetzten. Bin ich das erste Tier, das hier seine Duftspur hinterlässt? Wie kann das sein? Sein Blick fiel auf ein weiteres Bild. Er trat näher, um es genauer zu betrachten. Es war eine Spirale, die wie die kreisenden Linien auf seiner gespreizten Pfote aussah! Faolans Herz schlug schneller. Er blickte sich um, legte die Ohren an, senkte den Schwanz und duckte sich in der klassischen Unterwerfungshaltung. Das war die größte Achtungsbezeigung gegenüber einer höheren Macht. Obwohl außer ihm keine Lebewesen in der Höhle waren, spürte er den Geist, der die Luft erfüllte. Und diesem erhabenen Geist musste er seine Verehrung erweisen.
    Als er sich wieder aufrichtete und in der Höhle umblickte, entdeckte er noch ein Bild hoch oben an der Decke – das Sternbild des Großen Wolfs, zu dem ein Sternenpfad hinaufführte. Gab es einen Ort, eine Himmelshöhle, zu der die Wölfe reisten, wenn sie ihr Erdenleben beendet hatten? Einen Ort wie Ursulana, den Bärenhimmel, in den Donnerherz’ Junge gegangen waren? Erneut blickte er sich um. Das hier ist auch eine Höhle. Nur kommt sie mir nicht wie ein Ende vor, sondern wie ein Anfang.
    Es war, als stünde er auf einem irdischen Sternenpfad, einem Übergang in eine Zeit vor der Zeit, als die Geschichten der Wölfe und der Eulen sich gerade erst miteinander zu verweben begannen.
    Faolan fühlte diese Dinge, wenn auch anders, als er zum Beispiel instinktiv wusste, wie man einer Beute nachspürt, einen Vielfraß in die Enge treibt oder in der Laichzeit oberhalb einer Stromschnelle auf Lachse lauert. Nein, das hier fühlte er mit einem anderen Teil seines Geistes, der nicht nur ihm allein gehörte, sondern größer war als der Geist eines einzelnen Wolfs. Es war ein Wissen, das alle Grenzen sprengte, das größer als ein Rudel war, größer als ein Clan, größer noch als eine einzelne Art.
    Diese scheinbar leere Höhle vibrierte vor Leben, war von einer Geschichte erfüllt, die unverzichtbar für Faolans Wesen war. Er hatte seine Wolfsmutter und seinen Wolfsvater nie kennengelernt, und die Grizzlybärin, die ihn aufgezogen hatte, war verschwunden. Wenn er die Geheimnisse dieser Höhle enträtseln konnte, würde er vielleicht erfahren, wer er wirklich war. Und wozu er bestimmt war.
    Langsam folgte er dem gewundenen Pfad, der tief in die Erde hineinführte. Das Licht wurde immer schummriger. Doch wie alle Wölfe konnte Faolan bei schwachem Licht hervorragend sehen. Selbst in den dunkelsten Nachtstunden war seine Sicht immer noch gut.
    Er drückte sich enger an die Wand, um einen silbrigen Streifen zu studieren. Es war die Abbildung eines schimmernden Wolfsstroms – Wölfe, die in einer langen Linie auf einen Horizont zuliefen. Eine wilde Sehnsucht stieg in ihm auf. Wie gern würde er mit diesen Wölfen laufen. Es lag etwas so Anmutiges, Majestätisches in der Art, wie sie sich bewegten, nicht als einzelne Tiere, sondern als Einheit. Der Wolfsstrom war wie ein irdisches Sternbild. Keine kalten, fernen Sterne, sondern Wölfe aus Fleisch und Blut, die so lebendig in die Felswand geritzt waren, dass sie zu atmen schienen.
    Über ihre Köpfe hinweg flog ein Vogel. Faolan erkannte ihn als Eule. Er hatte nicht viele gesehen. Aber wenn ihnen Eulen begegnet waren, hatte Donnerherz ihm ihre Namen genannt. Hätte er doch nur besser aufgepasst! Es gab verschiedene Eulenarten und Donnerherz kannte sie alle. Manche hatte sie Fleckenkauz genannt, andere Schnee-Eulen. Aber die Eule, die über den Wölfen flog, war wie das Urbild aller Eulen. Sie war mehr der Geist einer Eule als eine Eule aus Federn, Knochen und Blut – wie ein weißer Blitz, der den Himmel durchschnitt.
    Faolan verlor jedes Zeitgefühl.

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