Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
schnell. Dann breitete sie die Flügel aus und erhob sich in die Lüfte.
Faolan sah ihr nach. Im ersten Moment hatte er die Eule kaum wahrgenommen, so überwältigt war er von seinem Kummer. Aber allmählich drang der Gedanke in sein Bewusstsein, dass eine Eule, vielleicht sogar eine Eule vom großen Ga’Hoole-Baum, mit ihm gesprochen hatte. Wirklich und wahrhaftig! Mit wackligen Knien erhob er sich und lief ihr nach.
Er konnte kaum glauben, wie lautlos sie flog. Selbst als sie beim Auffliegen mit den Flügeln geschlagen hatte, war kaum ein Laut zu hören gewesen. So viel stiller als Raben , dachte er. Allein dadurch fühlte er sich zu ihr hingezogen. Ihre Stille tröstete ihn in seinem Kummer. Er wollte gern in ihrer Nähe sein. Donnerherz hatte ihm schließlich als Erste von den klugen Eulen des Ga’Hoole-Baums erzählt.
Mit zurückgelegtem Kopf beobachtete er den dunklen Umriss der Maskenschleiereule, der sich gegen den Vollmond abzeichnete. Stumm schlüpfte er durch die blauen Schatten der Bäume. Alle paar Schritte hob er den Kopf, um den Eulenflug vor dem Bogen der Sterne zu verfolgen. Nach einer Weile fing er den Rauchgeruch der schwelenden Schmiede auf.
Im ersten Moment schreckte er vor dem Feuer in der Esse der Maskenschleiereule zurück. Feuer hatte er bisher nur einmal aus der Ferne gesehen, als er mit Donnerherz das erste Mal gefischt hatte. Damals hatte es einen gewaltigen Waldbrand gegeben. Die Flammen waren hochgeschossen wie rote Klauen, als wollten sie die Sonne vom Himmel herunterreißen. Dieses Feuer hier sprühte Funken. Es knisterte und knackte wie die kleinen Knöchelchen eines Beutetiers, die er zwischen den Kiefern zermalmte. Hin und wieder wurde das Knistern des Feuers von lautem Knallen oder Zischen unterbrochen.
„Komm, komm“, sagte die Maskenschleiereule und holte ihre Zange hervor. „Hier bist du in Sicherheit. Das Feuer springt nicht aus meiner Esse. Hab nur keine Angst.“ Mit einer Drehung des Kopfes, bei deren Anblick ihm ganz schwindlig wurde, bedeutete sie Faolan, dass er sich mit seinem Knochen ans Feuer setzen möge.
Mehrere neue Geräusche drangen jetzt an sein Ohr. Geräusche, die er noch nie gehört hatte. Das Klirren der Eisenzange, das Knistern des Feuers, das Schnaufen der Blasebalgkralle, die die Eule zusammendrückte und auf die Glutbröckchen im Feuer richtete, um die Flammen wieder zum Leben zu erwecken.
„Was sind das für Krallen?“, fragte Faolan mit wachsam nach vorn gerichteten Ohren.
Gwynneth drehte sich um. „Das hier meinst du?“, schnurrte sie vor sich hin. „Das ist ein Blasebalg. Ich bin Schmiedin. Hammerschmiedin. Ich schmiede Gegenstände aus Eisen und anderen Metallen.“
„Was für Gegenstände?“, fragte Faolan.
„Wenn du willst, zeige ich sie dir. Aber zuerst wollen wir uns miteinander bekannt machen.“ Gwynneth musste den Wolf noch etwas mehr sprechen hören. Sein Heulen war einzigartig gewesen, und das galt auch für seine Sprechstimme. Eine seltsame Rauheit lag darin, die dem kehligen Knurren der Clanwölfe nicht unähnlich war. Und doch klang es anders. Zumindest war er kein Clanloser, so viel stand fest. Dazu war sein Benehmen zu höflich. Er besaß eine Anmut und Würde, die nur Wölfe kannten, die im Rudel aufgewachsen waren. Sie lernten Rang, Ordnung und vor allem die Älteren zu achten.
Gwynneth hatte die gespreizte Vorderpfote sofort bemerkt und schloss daraus, dass der junge Wolf ausgesetzt worden war. Wo aber hatte er dann seine Eigenschaften erworben, diese Verhaltensweisen, die untrennbar zur Wolfswelt gehörten? Von den beiden Milchgeberinnen? Vielleicht konnte sie ihn zum Reden bringen, indem sie das Gespräch behutsam auf seine Milchgeberinnen lenkte. Das wäre dann der „erste Streich“, wie es in der Sprache der Schmiede hieß – der erste Schlag mit dem Hammer, wenn das Metall ausreichend erhitzt war.
„Ich bin Gwynneth. Den Namen habe ich von meiner Mutter, die gestorben ist, bevor ich geschlüpft bin. Eine andere Eule hat sich ihrer Eier angenommen und mich auch teilweise mit aufgezogen. Manchmal nannte sie mich Gwynnie. Und wie heißt du?“
Der Wolf horchte plötzlich auf und starrte die Eule durchdringend an.
„Faolan“, sagte er. „Faolan hat sie mich genannt.“
Gwynneth musste nicht fragen, wer „sie“ war. Er sprach natürlich von der Grizzlybärin. Der junge Wolf rückte ein bisschen näher heran, ohne die Pfoten von dem Knochen zu nehmen. „Du sagst, deine richtige Mutter ist
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