Der Clan
Atem. »Wahrscheinlich nicht.«
Später jedoch, als er wieder in sein Büro kam, fragte er sich, ob Nummer Eins ihm die Wahrheit gesagt hatte.
3(1925)
Loren Hardeman schreckte aus dem Schlaf. Die leisen Klänge der Kapelle, die unten im vornehmen Ballsaal spielte, wurden vom warmen Wind der Juninacht durch die offenen Fenster hereingetragen. Er setzte sich im Bett auf und stöhnte unwillkürlich, als er plötzlich die scharfen Stiche in seinen Schläfen spürte. »Mein Gott!« klagte er vor sich hin. »Das kann doch nicht der Schnaps sein, so viel habe ich nicht getrunken.«
Er stieg aus dem Bett und tappte barfuß ins Badezimmer. Weil der Marmorboden kalt war, ging er zurück, um seine Pantoffeln zu holen. Er drehte den Wasserhahn auf und hielt sein Gesicht darunter. Der Kopfschmerz ließ nach, und er starrte sein Spiegelbild an. Allmählich erinnerte er sich wieder an die Ereignisse des Tages. Es hatte mittags mit der Heirat seines Sohnes Loren in St. Stephan begonnen, anschließend fand von zwei bis fünf der Empfang im Garten der Villa Hardeman statt. Dann hatten sich die Gäste verabschiedet. Aber es war noch nicht alles vorbei. Man fuhr nur nach Hause, um sich auszuruhen und umzuziehen. Um acht Uhr abends sollte der große Hochzeitsball beginnen.
Er wußte noch, daß er nach oben gegangen war und seine Jacke ausgezogen hatte, doch das war auch alles. Er erinnerte sich nicht, sich ausgezogen zu haben. Aber er mußte es wohl getan haben, denn er war im Pyjama, und eine völlig frische Garderobe lag für ihn bereit. Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn - es konnte nicht schaden, sich nochmals zu rasieren.
Er nahm die Rasierschale mit dem eingravierten Goldbild des ersten Sundancer-Autos, das er damals im Jahre 1911 gebaut hatte, und begann mit dem Rasierpinsel in der Schale zu rühren, bis ein dicker, weißer Schaum entstand. Er verteilte ihn auf seinem Gesicht und massierte ihn mit seinen starken, festen Fingern in die Haut. Er legte noch eine Schicht heißen Schaum über die erste und zog das Rasiermesser mit dem Elfenbeingriff sorgfältig an dem Lederriemen ab, der an der Wand neben dem Spiegel hing. Die Rasur konnte beginnen.
Er begann unterhalb des Kinns, mit kurzen, sanften Strichen vom Hals aufwärts. Dabei lächelte er sich zu. Das Rasiermesser war tadellos. Sorgfältig arbeitete er von den Koteletten nach unten zum Kinn, dann seitlich über die Oberlippe zu den Wangen. Er strich mit den Fingern über sein Gesicht. Es war glatt.
So sorgfältig, wie er das Rasiermesser abgezogen hatte, spülte er es ab und legte es in das Etui zurück. Dann stellte er sich unter die Dusche und drehte das Wasser ganz auf. Zuerst heiß, dann kalt, bis er völlig wach war und seine Haut prickelte. Er verließ die Dusche und rieb sich energisch mit einem groben Handtuch ab. Das Prickeln seiner Haut machte ihm warm.
Er dachte an Loren junior und die junge Braut. Nun erinnerte er sich, daß auch sie nach oben gegangen waren, um sich umzuziehen, und er überlegte, ob sie wohl gewartet hatten. Dann dachte er an seinen Sohn, den fleißigen, ruhigen, sanften Jungen, der ihm so unähnlich war, daß er sich manchmal fragte, wie er zu einem solchen Sohn kam. Natürlich hätte Loren junior gewartet. Aber seine Braut? Das war etwas anderes. Sie war Mormonin, und er kannte die Mormonen. Sie fanden nichts dabei, ihren Mann mit mehreren anderen Frauen zu teilen, und gerieten nur in Streit, wenn eine von ihnen in der Reihenfolge im Bett übergangen wurde. Es paßte ihnen nicht, um ihren Anteil gebracht zu werden. Nicht, daß er ihnen das übelgenommen hätte. Auch er ließ sich nicht gern um seinen
Teil bringen. Besonders, weil Elisabeth immer eine so zarte Frau gewesen und nach Lorens Geburt noch schwächlicher geworden war. Er war ein mächtig gebauter Mann, und er versuchte, mit ihr zart umzugehen. Aber sie war so klein, daß er wußte, er tat ihr weh, obwohl sie sich auf die Lippen biß, um nicht aufzuschreien, wenn er in sie eindrang. Er sah den Schmerz in ihren Augen. Es war gut, daß Junior nicht so gebaut war wie er, obgleich das seiner Frau Sally wohl nichts ausgemacht hätte. Sie war kräftig, wenn auch wie viele moderne Backfische ein wenig mager. Sie hatte üppige Brüste und breite Hüften, obwohl sie streng Diät hielt, um nicht zuzunehmen. Wahrscheinlich konnte sie alles und noch mehr vertragen, was Junior ihr zu bieten hatte. Er hoffte nur, daß sein Sohn männlich genug für sie war. Da spürte er die Wärme in
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