Der Clan
bleibe in der Stadt, und Samuel soll auf mich warten. Ich möchte mich vor dem Einschlafen massieren lassen.«
Bevor er noch den Hörer aufgelegt hatte, fühlte er sich schon besser. Das war das richtige Programm. Ein ganz leichtes Abendessen, dann ein heißes Bad zur Entspannung. Nachher würde er nackt ins Bett steigen, und Samuel würde mit seiner Mixtur aus milden Ölen und Alkohol zu ihm kommen. Schon bei den ersten Strichen seiner Hände würde ihn die Spannung verlassen und die Müdigkeit überkommen. Wenn der Masseur fortging, würde er schon schlafen, tief, ruhig und traumlos.
Sally legte den Hörer auf und ging zurück ins Wohnzimmer. Loren sah von der Couch zu ihr hinüber. »Ist etwas los?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das war Loren. Er bleibt heute abend im Klub. Er fühlt sich zu müde, um nach Hause zu fahren.«
»Hast du ihm gesagt, daß ich hier bin?«
»Nein«, sagte sie. »Wozu?« Sie nahm ein zweites Glas von dem Cocktailtisch, der vor ihm stand. »Ich mixe dir einen frischen Drink.«
»Mach dir auch einen, wenn du schon dabei bist. Du siehst aus, als könntest du einen brauchen.«
»Ich darf nichts trinken, solange das Baby noch nicht entwöhnt ist.« Sie reichte ihm das Glas. »Ruh dich ein wenig aus und mach es dir bequem, während ich deinem Enkel seine Zehn-Uhr-Mahlzeit gebe. Es dauert nicht lange.«
Loren stand auf. »Ich komme mit.«
Sie warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, sagte aber nichts. Er folgte ihr nach oben ins Kinderzimmer. In einer Ecke glomm eine winzige Nachtlampe, ihr schwaches gelbes Licht fiel auf die Wand hinter dem Kinderbett. Sie traten schweigend ans Bett. Das Baby schlief, seine Augen waren fest geschlossen. Sie griff hinein und nahm es auf den Arm. Es begann fast sofort zu schreien.
»Es hat Hunger«, flüsterte sie und setzte sich rasch auf einen Stuhl. Sie saß im Dunkeln, dem Licht abgewandt. Das Kleid raschelte leise, plötzlich hörte das Schreien auf, statt dessen gab es leise Schmatzgeräusch, das Baby trank.
Sie schaute zu Loren hin. Seine Augen glühten in dem reflektierten gelben Licht wie die eines Tieres. Sein
Gesichtsausdruck war seltsam gespannt. »Ich kann es nicht sehen«, sagte er.
Langsam drehte sie sich auf dem Stuhl herum, bis der sanfte Lichtschein sie und das Baby traf. Sie hörte seine Schritte, und als sie hochsah, stand er neben ihr.
»Mein Gott«, sagte er leise, »ist das schön!«
Eine warme Feuchtigkeit durchströmte sie, und plötzlich wurde sie ärgerlich. »Vielleicht versuchst du, das deinem Sohn zu sagen!«
Er schwieg, legte nur seine Hand auf ihre nackte Schulter und drückte sie beruhigend.
Überrascht betrachtete sie einen Augenblick sein Gesicht, dann wandte sie sich um und küßte seine Hand. Tränen stiegen ihr in die Augen und tropften von ihren Wangen auf seine Hand. Sie lehnte ihr Gesicht an ihn. »Entschuldige, Daddy Hardeman«, flüsterte sie. Er strich mit seiner freien Hand sanft über ihr Haar. »Schon gut, mein Kind«, sagte er leise. »Ich verstehe.«
»Wirklich«, flüsterte sie, beinahe wild. »Er ist nicht wie du. Er ist kalt, er behält alles bei sich, verschließt es dort, wo niemand hin kann. Ich bin gar nicht so. Ich.«
Er legte einen Finger an ihre Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. »Ich habe ja gesagt, ich verstehe dich.«
Sie blickte ihn wortlos an. Sie fühlte die Stärke, die von ihm ausging und sie einhüllte, und sie wußte, daß er alles genauso empfand wie sie. »Ist es denn unrecht?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich sah dich mit der Frau an meinem Hochzeitsabend«, sagte sie. »Das weiß ich«, antwortete er. »Ich habe es in deinen Augen gelesen.«
»Warum war das also damals recht und ist dies hier unrecht?«
Wieder schüttelte er langsam den Kopf. »Die Zeit. Es ist nicht die richtige Zeit.« Er schaute auf das saugende Kind. »Du hast Wichtigeres zu tun.«
Der alte blinde Zorn stieg in ihr hoch. Warum mußte er immer so selbstsicher sein, so recht haben? »Ich bin dumm«, sagte sie verbittert. »Verdammt albern und dumm.«
»Nein, das bist du nicht«, meinte er lächelnd. »Du bist nur eine gesunde junge Frau, deren Mann einen kräftigen Tritt in den Hintern verdient, weil er seine Hausarbeit vernachlässigt.« Er wandte sich zur Tür. »Und vielleicht bin ich der richtige Mann, um es ihm zu besorgen.«
»Nein«, sagte sie. »Du hältst dich da raus. Von dir will ich nur eines.«
»Und zwar?«
Sie stand auf und legte das Baby in sein Bettchen zurück.
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