Der Club der Teufelinnen
Pangor?«
»Großartig. Er hat eine Maus gefangen! Und weißt du, was er damit gemacht hat?«
Annie zuckte zusammen. Gab es hier Mäuse? »Was denn, mein Liebes?«
»Er hat sie auf mein Kissen gelegt!«
»Als Geschenk für dich? Ich habe mal eine Katze gehabt, die hat das gemacht. Sogar Ratten hat sie gefangen«, sagte Miguel.
Annie fragte sich, wo er gewohnt haben mochte, wenn es dort Ratten gegeben hatte. Dann fiel ihr etwas ein, und sie wandte sich Miguel zu. »Oh, Entschuldigung! Miguel, das ist meine Tochter Sylvie. Sylvie, das ist mein Freund Miguel. Er hat mich hergefahren.«
»Hallo, Mr. Mi Kell«, antwortete Sylvie. »Ich werde Ihre Tasse mitnehmen.«
»Darf ich erst meinen Kaffee austrinken?«
»Ja.« Sylvie mußte kichern.
»Dann bin ich einverstanden.«
»Jetzt muß ich weiterarbeiten«, sagte Sylvie mit ernstem Gesicht. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
»Gut. Nach der Arbeit sehen wir uns wieder.« Ihre Tochter kratzte die Teller ab. Ihr Lebensinhalt. Schweigend stand Miguel neben ihr.
Annie seufzte. Was war denn ihr Lebensinhalt, daß Tellerabkratzen ihr als etwas so Unerfreuliches vorkam? Sylvie war glücklich. Wie kam sie dazu, hier ein Urteil zu fällen?
»Es ist sehr schwer«, sagte sie laut. Miguel nickte, wortlos.
Dann ließ Annie Miguel auf dem verschneiten Campus zurück und suchte Frau Dr. Gancher in ihrem Büro auf. Annie war sich nun sicher, daß dieser Ort das richtige für Sylvie war. Das gab ihr Mut.
Die Tür zum Büro stand weit offen, und Frau Dr. Gancher bat sie, Platz zu nehmen. »Und wie ist ihr Eindruck von Sylvie?« begann sie.
»Gut sieht sie aus. Und sie bemüht sich so sehr. Die Leute denken immer …«
»Diese Leute gibt es hier nicht«, unterbrach sie Dr. Gancher. »Eben das macht Sylvan Glades zu einer Zuflucht. Aber da gibt es noch etwas. Wir machen uns große Hoffnungen für Sylvie. In einem Monat oder zwei möchten wir sie es mit einem Job in einem Restaurant in der Stadt versuchen lassen.«
»Wirklich? So bald schon?« Annies Magen verkrampfte sich. Die Menschen konnten so grausam, so ungeduldig sein. »Ist sie schon so weit?«
»Sie ist sehr gut erzogen worden.« Dr. Gancher sah sie geradeheraus an. »Ich denke, sie hat genug Rückhalt.«
Annie dankte ihr nicht dafür, aber sie spürte, wie sie dieses Lob erzittern ließ. Sie holte tief Luft. »Ich verstehe. Es ist nur … es ist mehr, als ich zu hoffen gewagt habe. Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Nun ist es an mir, etwas zu verstehen, Mrs. Paradise.« Frau Dr. Gancher lächelte ihr zu. »Wenn Eltern zu ihrem ersten Besuch hierherkommen, ist es für sie oft eine bestürzende Erfahrung. Die sechsmonatige Trennung ist sehr hart. Manchmal haben sie jahrelang dafür gekämpft, viele Opfer auf sich genommen und ihr Leben so eingerichtet, daß sie ihrem Kind einmal die Möglichkeit zum Glücklichsein verschaffen können. Sie meinen, daß ihre Kinder nicht ohne sie leben könnten. Dann kommen sie hierher und sehen, daß ihre Kinder ein selbständiges Leben führen und obendrein auch noch glücklich sind. Die Eltern empfinden sich als unnütz oder sogar als Eindringlinge und kommen sich vielleicht auch dumm vor, weil sie ihre Kinder so lange bei sich behalten haben. Sylvie hat diese Zeit des Alleinseins nötig gehabt. Und sie hatte die Zeit mit Ihnen nötig. Beides. Ich möchte sagen, daß Ihre Wahl des Zeitpunkts ausgesprochen glücklich war.«
Hierauf antwortete Annie nicht sofort. Sie erkannte in Frau Dr. Gancher einen großherzigen Charakter und verglich ihn unwillkürlich mit der kleinkrämerischen Seele eines Gil Griffin oder auch von Aaron.
»Danke«, sagte sie schließlich. Ach, wenn sie doch jetzt gehen könnte, mit der Gewißheit um das Glück ihrer Tochter. Aber da gab es noch was zu regeln. »Leider gibt es da ein Problem.« Bei diesen Worten richtete Annie sich auf.
»Ja, bitte?«
»Ich bin nicht in der Lage, die gesamte vierteljährliche Zahlung zu entrichten, ich brauche … Ich hoffe … daß ich sie im Frühjahr aufbringen werde.«
Dr. Gancher schaute verdutzt. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. »Das erstaunt mich, Mrs. Paradise. Da gibt es doch den Treuhandfonds für Sylvie. Es gibt kein Kind mit Downes-Syndrom, dem ein Sylvan Glades nicht zu gönnen wäre, doch leider können es sich nur wenige leisten. Da es so viele Anwärter auf einen Platz hier gibt, ist Zahlungsfähigkeit eine der maßgeblichen Voraussetzungen. Die Ihre hat nie in Zweifel gestanden.« Sie
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