Der Countdown

Internetzugang des Motels, um Kontakt mit der örtlichen Schulbehörde aufzunehmen. Sie hoffte, dass man dort im Register nach Logans Geburtsdatum suchen könnte.
    Es war später Vormittag, doch sie machte keinerlei Fortschritt. Die Zeit arbeitete gegen sie beide, denn Graham glaubte nicht, dass Teale ihn noch heute zurückrufen würde.
    Das heiße Wasser hatte die Verspannungen in Grahams Hals und Schultern fast gelöst, als sein Handy klingelte. Er drehte die Dusche ab, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und griff nach dem Telefon auf der Handtuchablage. Er hoffte, dass Teale dran war.
    Er war es nicht.
    “Lassen Sie mich das kurz klarstellen”, sagte Grahams Chef. “Sie sind in Great Falls?”
    “Das ist richtig.”
    “Was machen Sie da? Sich einen Bus nach Hause nehmen?”
    “Mike, ich mache Fortschritte, was die Verbindung zu Tarver angeht.”
    “Verbindung? Da existiert keine Verbindung.”
    “Hören Sie doch …”
    “Dan, Sie müssen damit aufhören. Soweit ich weiß, fahren Sie jetzt mit dieser kalifornischen Dame herum und haben sich auch in ihren Fall eingemischt. Elterlicher Kindesentzug, nicht wahr?”
    “Maggie Conlin. Es steht alles mit Tarver in Verbindung. Name und Adresse der Conlins waren die letzten Informationen, an denen Ray Tarver recherchiert hat.”
    “Sie verrennen sich immer mehr. Es ist vorbei. Wir haben gerade das Autopsie-Ergebnis von Raymond Tarver bekommen.”
    “Und?”
    “Und nichts. Er starb genauso wie seine Frau und die Kinder. Verletzungen des Kopfes, die zu einem derartigen Unglücksfall in der Wildnis passen. Nichts Verdächtiges. Der Fall ist aufgeklärt.”
    “Nein, das stimmt nicht. Ich sagte Ihnen doch, dass Emily Tarver mit mir sprach.”
    “Dan, das waren die Minuten, bevor sie starb. Das kleine Mädchen stand unter Schock.”
    “Es geht darum,
was
sie sagte, Mike. Sie sprach zu mir, und
Nora sprach zu mir
.”
    “Nora?”
    “Ich weiß, es klingt verrückt, doch ich schwöre, dass ich sie hörte, als ich mich unter Wasser befand.”
    “Dan.”
    Es vergingen einige Sekunden, in denen Stotter sich klarmachte, dass einer seiner besten Ermittler gerade zugegeben hatte, dass seine tote Frau zu ihm gesprochen hatte. In der folgenden Stille suchte Stotter nach einer Antwort, bevor er langsam durchatmete.
    “Dan, anfangs habe ich Ihr Bauchgefühl, was den Tarver-Fall angeht, respektiert. Ihr Verdacht schien mir begründet zu sein. Ich dachte, Sie den Spuren nachgehen zu lassen würde den Fall voranbringen. Und ich dachte, es würde Ihnen helfen. Sie sind durch die Hölle gegangen, und vielleicht war es zu früh, Sie in das ganze Durcheinander zu werfen. Vielleicht ist die Dame aus Kalifornien eine Art von psychologischer Kompensation für das, was Sie durchgemacht haben.”
    “Mike, Sie müssen mir zuhören.”
    “Dan, Sie sind ein guter Ermittler, aber Sie müssen noch einige Dinge verarbeiten. Das wird Zeit brauchen.”
    “Ich komme nicht eher zurück, bis ich hier fertig bin.”
    “Dan, ich gebe Ihnen hiermit einen Befehl. Wenn Sie nicht in vierundzwanzig Stunden hier sind, schicke ich jemanden, der Sie abholt. Ist das klar?”
    Dan legte den Hörer auf und sah sich im Spiegel an.
    Er hatte gerade einen Befehl missachtet.
    Nun stand alles auf der Kippe.

63. KAPITEL
    M ontana
    Die Zeit wurde knapp für Jake.
    Gegen Mitternacht fuhr er Richtung Nordost in die Region Great Falls, um Lebensmittel nach Shelby zu bringen. In Shelby wollte er Holz aufladen und zurück nach Lewistown transportieren.
    Bei beiden Fuhren würde sein Truck schwer beladen sein. Mit seinen Aufträgen in Butte und Missoula war er gut zurande gekommen. Er hatte gutes Geld verdient.
    Und wenn er mit dem Verkehr Glück hatte, würde er rechtzeitig zurück sein, um vor Logans großem Tag noch ein bisschen zu schlafen.
    Logan.
    Jake fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
    Er umklammerte das Lenkrad, als erneut ein tiefes Gefühl in ihm aufkeimte. Er hatte es bereits vor ein paar Stunden gespürt, in dem Moment, in dem er von zu Hause aus gestartet war.
    Als er Logans winzige Silhouette am Fenster im Rückspiegel sah.
    In jenem Moment erkannte Jake die Wahrheit.
    In jenem Moment begriff Jake, dass er in den letzten fünf oder sechs Monaten seit sie Blue Rose Creek verlassen hatten, ein Narr gewesen war. Er hatte den größten Fehler seines Lebens begangen.
    Was also würde er deswegen unternehmen?
    Jake befand sich etwa zehn Meilen südlich von Great Falls, als sein Handy