Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Fürsten gehört, handelt es sich bei der LLB, der zweitgrößten Bank in
Liechtenstein, um das Tafelsilber des Volkes. Die Aktien der LLB werden an der
Börse gehandelt. Zwei Drittel der Anteilsscheine sind jedoch nach wie vor im
Staatsbesitz und bescheren dem Land Liechtenstein Jahr für Jahr eine
ansehnliche Dividende. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2002 immerhin rund 40
Millionen Schweizer Franken – 1.100 Franken pro Einwohner. [149] Thomas Müller, der wegen seines Engagements bei der Fürstenbank seine Zelte in
Liechtenstein aufgeschlagen hat, wird nun auch für den Fall LLB herangezogen.
Für Müller, der dabei ist, sich als Workplace-Violence-Consultant neu zu
erfinden, ein Geschenk des Himmels. Er bearbeitet nun zwei höchst sensible
Mandate, die sowohl für die betroffenen Finanzinstitute wie auch für das Land
Liechtenstein existenzbedrohend sind. Wenn er hier reüssierte, würde er nicht
nur sein Renommee als Profiler weiter befördern, er hielte auch unschätzbar
wertvolle Referenzen als diskreter Problemlöser für erpresste Unternehmen in Händen.
Im Laufe der
Monate März und April treffen sich Heinrich Kieber und Pius Schlachter mehrfach
in verschiedenen niederländischen Städten. Einen substanziellen Fortschritt,
gar eine Vereinbarung über die Rückgabe der Daten, kann LGT-Geschäftsleitungsmitglied
Schlachter dabei nicht erzielen. Nun manövriert sich Thomas Müller in Position:
Er bietet sich der LGT-Task-Force als Verhandler an,
als neutrale Person, die zwischen den Parteien Kieber und LGT vermittelt. Aus
dem Profiler wird ein Negotiator .
Kieber ist
von der Idee, dass ein »Psychofreak« [150] mit ihm verhandeln soll, nicht eben
begeistert, zumal ihm Schlachter nicht verraten will, wer dieser
Kriminalpsychologe ist, der im Hintergrund die Strippen zieht. Nachdem ihm
Schlachter versichert hat, dass es sich um eine Kapazität auf dem Gebiet
handle, lenkt Kieber schließlich ein. Pius Schlachter erhält das Einverständnis
von Kieber, den Psychologen zum nächsten Treffen mitbringen zu dürfen. Eine
Begegnung, in die Kieber hohe Erwartungen setzt: »Mai 2003. Noch zwölf Tage bis
zum wohl wichtigsten Treffen. Ich packte die LGT-Dokumente schon mal um, so
dass ich sie bei Bedarf schnell griffbereit und reisefertig hatte.« [151]
Thomas Müller
hat seine erste Begegnung mit Heinrich Kieber in Amsterdam in seinem Buch Gierige Bestie leicht verfremdet verarbeitet. Er beschreibt darin, wie verblüfft er ist, als
Kieber ihn mit Titel und vollem Namen begrüßt, obschon der Name Müller noch nie
gefallen ist in den bisherigen Gesprächen: »›Nun was ist denn ihr eigentlicher
Auftrag, Herr Doktor Müller, warum sind Sie hier?‹ Und ohne die Antwort
abzuwarten, fügte er hinzu: ›Ich habe es mir gedacht, dass man Sie schicken
wird.‹« [152] Kieber sei nach einer kleinen
Netz-Recherche rasch klargeworden, dass es sich bei der Person, die nun mit ihm
verhandeln werde, um niemand anders als Müller handeln könne. Müller ist
unschlüssig, ob ihn »diese Aussage ehren sollte oder ob es Teil seines
[Kiebers] manipulativen Spiels war. Er erkannte meinen persönlichen Narzissmus
in allen kriminalpsychologischen Angelegenheiten.« [153]
Heinrich
Kieber kann sein Glück kaum fassen: Die LGT-Task-Force bietet den
prominentesten europäischen Kriminalpsychologen auf, der mit ihm verhandeln
soll! Dass sich derart hochkarätige Experten um ihn kümmern, schmeichelt seinem
Ego ungemein. Und auch Kriminalpsychologe Müller kribbelt es angesichts der
Tatsache, dass er an diesem faszinierenden Exemplar eines
Arbeitsplatzkriminellen forschen darf: »Er besaß mit Sicherheit eine Gabe, die
mich schon immer faszinierte: die Antizipation. Dieser Mann war mit Sicherheit
nicht nur in der Lage zu verstehen, sondern vor allem vorherzusehen.« [154] Und weiter: »Ich wusste, dass er ein Meister der Manipulation war, aber diese
Sätze, die Sprache, die er verwendete, die Beispiele, die er brachte, und vor
allem seine privaten Äußerungen konnten nicht gespielt sein.« [155] Was Promi-Profiler Müller nicht merkt: Er ist soeben seinem Meister begegnet.
Im Auftrag
der Task-Force unterbreitet Thomas Müller das aktuelle Angebot: Kieber müsse
nach Liechtenstein zurückkehren und sich für seine Taten vor einem Gericht
verantworten, dafür erhalte er freies Geleit bis zur Verhandlung. Die LGT
bezahle ihm einen Anwalt, und er könne kostenlos ein Apartment bewohnen, das
der Bank gehört. Ob Kieber zu diesem Zeitpunkt
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