Der Diamant des Salomon
Augen und probierte d i e verschiedenen Geräusche aus, die ihm das Soundsystem des Flugzeugs anbot, bevor er sich für Meeresrauschen entschied. Seine Füße wurden schwer, die Brandung füllte seine Ohren, und der milde Nachgeschmack des Weins zog ihn langsam in den Schlaf, als würde er in achttausend Metern Höhe in einem angenehmen, warmen Meer versinken.
Erst am nächsten Tag, als er um zwölf Uhr mittags auf dem Ben-Gurion-Flughafen das Flugzeug verließ und ihn der Kopfschmerz wie ein goldener Hammer mitten auf der Stirn zu treffen schien, wurde ihm bewußt, daß er den Wein nicht ungestraft getrunken hatte.
Es war heiß. Nachdem sich Harry durch den Zoll gequält hatte, fand er sogar auf Anhieb ein Taxi. Der Fahrer hatte einen schnellen, abgehackten Fahrstil, so daß Harry auf dem Weg nach Jerusalem immer wieder mit aufsteigendem Brechreiz zu kämpfen hatte. In einem tiefeingeschnittenen Tal säumten zerfetzte Autowracks den Weg.
»Diese Fahrzeuge wurden im Unabhängigkeitskrieg zerstört, als sie die Blockade durchbrechen wollten«, erklärte der Fahrer. »Sie versuchten damals, Essen und Munition in die Stadt zu bringen. In den letzten Kriegen sind die Bastarde ja Gott sei Dank nicht mehr bis hierher gekommen. Aber im ersten waren die Geschütze der Araber beiderseits dieser Straße in Stellung gebracht worden. Wir lassen die Autowracks als Denkmäler hier liegen.«
Harry nickte. »Ich war schon einmal in Jerusalem.«
Jedes Mal, wenn er hier ankam, erklärten die Taxifahrer die Anwesenheit dieser Rostlauben aufs neue.
Vom Hotel aus rief Harry David Leslau an, aber der Archäologe war den ganzen Tag über nicht in seinem Büro. Harry hinterließ eine Nachricht für ihn.
Sein Zimmer befand sich an der Rückseite des Hotels. Von seinem Fenster aus konnte er ein langes Stück einer wunderschönen alten Mauer und eine Reihe von würfelförmigen arabischen Häusern sehen – das war Ost-Jerusalem. Die Altstadt reizte Harry, aber weil die Sonne vom Himmel herunterbrannte, entschied er sich doch lieber für sein weiches Bett mit den kühlen Laken.
Als er wieder erwachte, war sein Kopfschmerz besser geworden. Um zehn nach neun aß er gerade das Frühstück, das aus Eiern, Pitabrot, kleinen grünen Oliven und Eistee bestand, als Leslau zurückrief und sich sofort bereit erklärte, ins Hotel zu kommen.
Harry und der Archäologe kannten sich nur vom Hörensagen und durch ihre Publikationen. Leslau erwies sich als klein und häßlich, mit einer breiten Brust, die wie die eines Bullen wirkte. S e in rotes Ha a r u nd sein Ba r t hätten g u t einen Schnitt vertragen können, auch aus dem offenen Kragen des nicht m ehr ganz weißen He m ds schaute ein dickes Büschel g rau werdend e r, gelbbrauner Haare hervor. Leslau blinzelte durch eine d i cke Brille, die sei n e rastlosen braunen Augen vergrößerte. Die viele Arbeit im Freien hatte seine Haut braun geger b t. Er trug staubige Schuhe und Jeans, und irgendwie kam s i ch Harry in seiner Gegenwart zu gut angezogen und zu sauber gewaschen vor.
Sie saßen in der Lobby, in der T ouristen wie Spatzen heru m hüpften.
»Was für einen Absatz der Schriftrolle haben Sie übersetzt?« fragte Leslau sofort und zupfte sich mit seinen dicken Fingern am Ohrläppchen.
Harry erzählte ihm, was er herausgefunden hatte.
»Ja, ja, bei Jesus, Josua und Job. Hören Sie mal, mein armer, neuer Freund, der Sie mit Ihren Träumen von unvergänglichem Ruhm frisch aus Amerika gekommen sind –«
»Reden Sie bitte nicht in diesem Ton mit mir«, sagte Harry ruhig.
»Sie sind schon der vierte, der die genisa aus diesem Absatz identifiziert hat.« Harry sah ihn an.
Leslau seufzte. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte er. Leslau hatte einen alten Volkswagen, der auf Steigungen asthmatisch schnaufend zusammenzubrechen drohte. Deshalb fuhr der Archäologe jeden Hügel mit einer affenartigen Geschwindigkeit hinauf, und das auf Straßen, die sich in Serpentinen an steilen Abgründen entlangschlängelten.
»Waren Sie schon mal in dieser Gegend?«
»Nein.«
Sie fuhren an Bananen- und Zitrusplantagen vorbei.
»Ungewöhnliches Kli m a hier. Afrikanisch. W i e im Sudan etwa, Sie sehen’s ja selbst.«
»Mmm.«
Leslau warf ihm einen schnellen Blick zu.
»Ich habe Ihnen vorhin alle Illusionen geraubt, stim m t ’s? N eh m en Sie sich das, was ich Ih n en v orhin im Hotel gesagt habe, nicht so zu Herzen. Ich bin m anch m al ganz schön bösartig. Das ist m ir bewußt, aber ich bin zu alt,
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