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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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gerahmten Fotos auf ihrem Nachttisch– Welty und Cosmo, Welty und Pippa, Pippa und ihre Mutter (das gleiche Haar, die gleichen Augen), mit einem jüngeren und schlankeren Hobie…
    Ich hörte ein leises Summen im Zimmer, und drehte mich schuldbewusst um– kam jemand? Nein: Es war nur der nach seinem Bad schneeweiße Poptschik, der es sich auf den Kissen ihres ungemachten Betts bequem gemacht hatte und sabbernd und selig beinahe schnurrte. Und obwohl es irgendwie erbärmlich war, Trost in ihren zurückgelassenen Sachen zu finden wie ein kleines Hündchen, das sich in einem alten Mantel zusammenrollt, kroch ich neben ihm unter die Laken und lächelte albern über den Duft ihrer Decke und deren samtene Berührung an meiner Wange.
    VI
    » Also wirklich « , sagte Mr. Bracegirdle, während er erst Hobies und dann meine Hand schüttelte, » Theodore– ich muss schon sagen– je älter du wirst, desto mehr ähnelst du deiner Mutter. Ich wünschte, sie könnte dich jetzt sehen. «
    Ich versuchte ihm in die Augen zu blicken, ohne verlegen zu wirken. In Wahrheit hatte ich zwar das glatte Haar und die helldunkle Hauttönung meiner Mutter geerbt, sah jedoch viel mehr aus wie mein Vater, eine Ähnlichkeit, die so ausgeprägt war, dass kein geschwätziger Passant und keine Café-Kellnerin sie unkommentiert gelassen hatte. Nicht, dass ich jemals besonders glücklich darüber gewesen wäre, dem Elternteil zu ähneln, den ich nicht leiden konnte, aber nach seinem Tod war es noch irritierender, eine jüngere Version seines schmollenden Betrunken-am-Steuer-Gesichts im Spiegel zu erblicken.
    Hobie und Mr. Bracegirdle plauderten gedämpft– Mr. Bracegirdle erzählte Hobie, wie er meine Mutter kennengelernt hatte, was bei Hobie eine Erinnerung wachrief: » Ja! Ich weiß noch– dreißig Zentimeter in weniger als einer Stunde! Mein Gott, ich kam von einer Auktion, und alles stand still, ich war Uptown in den alten Parke-Bernet-Galleries. «
    » In der Madison Avenue gegenüber vom Carlyle? «
    » Ja– war ein ziemlich weiter Fußmarsch nach Hause. «
    » Sie handeln mit Antiquitäten? Im Village? Sagt Theo? «
    Ich saß höflich da und lauschte ihrer Unterhaltung: gemeinsame Bekannte, Galeriebesitzer und Kunstsammler, die Rakers und die Rehnbergs, die Fawcetts, die Vogels und die Mildebergers, weiter über verschwundene New Yorker Wahrzeichen wie das Restaurant Lutèce oder das Café des Artistes, was hätte deine Mutter gedacht, Theodore, sie liebte das Café des Artistes. (Woher wusste er das, fragte ich mich.) Während ich viele Dinge, die mein Dad in gehässiger Stimmung über meine Mutter angedeutet hatte, keinen Moment lang geglaubt hatte, schien es, als hätte Mr. Bracegirdle sie sehr viel besser gekannt, als ich mir je hätte ausmalen können. Selbst die nicht-juristischen Bücher auf seinen Regalen deuteten auf eine Übereinstimmung hin, ein Echo geteilter Interessen. Kunstbücher: Agnes Martin, Edwin Dickinson. Außerdem Lyrik, Erstausgaben. Ted Berrigan. Meditations in an Emergency. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem sie mit rosigen Wangen und glücklich mit exakt derselben Ausgabe von Frank O’Hara nach Hause gekommen war– die sie, wie ich annahm, bei The Strand entdeckt hatte, da wir für so etwas sonst nicht das Geld hatten. Aber als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass sie mir nie erzählt hatte, woher das Buch stammte.
    » Nun, Theodore « , rief Mr. Bracegirdle mich in die Gegenwart zurück. Er war zwar schon älter, hatte jedoch die gelassene, sonnengebräunte Aura eines Mannes, der viel Zeit auf dem Tennisplatz verbrachte, und mit den dicken dunklen Ringen unter seinen Augen etwas von einem leutseligen Panda. » Du bist inzwischen so alt, dass ein Richter deinem Wunsch in dieser Angelegenheit oberste Priorität einräumen würde « , sagte er. » Zumal natürlich niemand Widerspruch gegen Ihre Vormundschaft einlegen könnte « , fuhr er an Hobie gewandt fort: » Wir könnten auch offiziell eine vorläufige Vormundschaft für die anstehende Übergangszeit beantragen, doch ich denke, das wird nicht nötig sein. Das Arrangement ist offensichtlich im besten Interesse des Minderjährigen. Sofern Sie damit einverstanden sind? «
    » Mehr als das « , sagte Hobie. » Ich bin glücklich, wenn er glücklich ist. «
    » Sie sind also umfassend bereit, bis auf Weiteres als Theos informeller Vormund zu fungieren? «
    » Informell, mit schwarzer Krawatte, was immer erforderlich ist. «
    » Um deine schulische

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