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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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weiter wie ein verzweifelter Diener in einem Märchen, der dazu verdammt war, bis zum Morgengrauen eine unmögliche Aufgabe zu erfüllen oder zu sterben. Schließlich, mit vor Erschöpfung zitternden Händen, nahm ich meine Zahnbürste und die Zahnpasta– was seltsamerweise besser funktionierte als alles andere, aber trotzdem brachte es keinen Erfolg.
    Schließlich gab ich die nutzlosen Versuche auf und hängte den Mantel zum Abtropfen über die Badewanne: der triefende Geist von Mr. Pavlikovsky. Ich hatte darauf geachtet, kein Blut an die Badelaken kommen zu lassen; mit Toilettenpapier, das ich zwanghaft zusammenknüllte und alle paar Augenblicke ins Klo spülte, wischte ich gewissenhaft die rostfarbenen Streifen und Tropfen von den Fliesen, und die Fugen behandelte ich mit meiner Zahnbürste. Klinisches Weiß. Glänzende Spiegelwände. Vielfach reflektierte Einsamkeit. Als der letzte Hauch von Rosa längst verschwunden war, arbeitete ich immer noch– spülte und wusch die Handtücher, die ich schmutzig gemacht hatte und die immer noch eine verdächtige Schattierung aufwiesen–, und dann, so müde, dass ich taumelte, stellte ich mich selbst unter die Dusche, drehte das Wasser so heiß auf, dass ich es kaum aushielt, und schrubbte mich von oben bis unten, von Kopf bis Fuß ab, zerrieb das Stück Seife in meinen Haaren und weinte, als der Schaum mir in die Augen lief.
    XV
    Ich erwachte irgendwann von einem lauten Summen an meiner Zimmertür und sprang hoch, als hätte ich mich verbrüht. Das Bettzeug war zerwühlt und nassgeschwitzt, und die Rollos waren heruntergelassen, sodass ich keine Ahnung hatte, wie spät es war, ob Tag oder Nacht. Noch im Halbschlaf warf ich den Bademantel über, öffnete die Tür einen Spaltbreit mit vorgelegter Kette und fragte: » Boris? «
    Eine Frau mit verschwitztem Gesicht in Dienstmädchenuniform. » Die Wäsche, Sir. «
    » Wie bitte? «
    » Die Rezeption, Sir. Dort hat man gesagt, Sie wollten heute Morgen Wäsche abholen lassen. «
    » Äh… « Mein Blick wanderte hinunter zum Türknauf. Wie hatte ich nach alldem vergessen können, das » Bitte nicht stören « -Schild aufzuhängen? » Moment. «
    Aus meiner Tasche zog ich das Hemd, das ich auf Annes Party getragen hatte– von dem Boris gemeint hatte, es sei nicht gut genugfür Grozdan. » Hier. « Ich reichte es durch den Türspalt. » Warten Sie. «
    Jackett. Schal. Beides schwarz. Konnte ich es wagen? Sie sahen ruiniert aus und fühlten sich feucht an, aber als ich die Schreibtischlampe einschaltete und beides eingehend untersuchte– mit Brille und meinem von Hobie trainierten Blick, die Nase dicht über dem Stoff–, war kein Blut zu sehen. Ich betupfte mehrere Stellen mit einem weißen Papiertaschentuch, um zu sehen, ob es sich rosa färbte. Das tat es– aber es war kaum sichtbar.
    Die Frau wartete, und in gewisser Weise war es eine Erleichterung, mich beeilen zu müssen: eine schnelle Entscheidung, kein langes Zögern. Aus den Taschen holte ich meine Brieftasche, die feuchte, aber erstaunlich intakte Oxycontin, die ich vor Anne de Larmessins Party noch rasch eingesteckt hatte (hatte ich je damit gerechnet, dass ich einmal dankbar für die harte Retard-Matrix sein würde? Nein), und Boris’ dicken Umschlag aus Glassin, bevor ich auch Anzug und Schal hinausreichte.
    Als ich die Tür geschlossen hatte, überkam mich Erleichterung. Aber keine dreißig Sekunden später schlich sich ein sorgenvolles Murmeln heran und entwickelte sich innerhalb weniger Augenblicke zu einem kreischenden Crescendo. Ein unbedachter Entschluss. Irrsinn. Was hatte ich mir gedacht?
    Ich legte mich hin. Ich stand auf. Ich legte mich wieder hin und versuchte zu schlafen. Dann setzte ich mich auf, und in traumartiger Hast, ohne es zu wollen, rief ich plötzlich die Rezeption an.
    » Ja, Mr. Decker, was kann ich für Sie tun? «
    » Äh… « Ich presste die Augen zu. Warum hatte ich das Zimmer mit meiner Kreditkarte gebucht? » Ich wollte nur fragen– ich habe eben einen Anzug zur Reinigung gegeben und wollte wissen, ob er noch im Haus ist. «
    » Wie bitte? «
    » Geben Sie die Sachen hinaus, oder reinigen Sie sie hier? «
    » Wir geben sie hinaus, Sir. Die Firma ist aber sehr zuverlässig. «
    » Können Sie irgendwie feststellen, ob die Sachen schon weg sind? Mir ist eben eingefallen, dass ich sie heute Abend noch brauche. «
    » Ich werde nachsehen, Sir. Moment bitte. «
    Ohne Hoffnung wartete ich und starrte dabei den Umschlag mit dem Heroin auf

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