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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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einen Namen genannt? « Ich ging zum Fenster und überlegte, ob ich es mit einem Stuhl zerschlagen könnte. Mein Zimmer lag in keinem der oberen Stockwerke– ein Sprung wäre möglich.
    » Nein, Sir. « Er sprach sehr schnell. » Wir konnten nicht– das heißt, er war sehr entschlossen. Er war an der Rezeption vorbei, bevor… « Aufruhr im Korridor. Jemand rief etwas auf Holländisch.
    » … wir sind heute Morgen unterbesetzt, wie Sie sich sicher denken können… «
    Ein entschlossenes Hämmern an der Tür– ein grobes, nervöses Zusammenfahren wie angesichts der nie mehr endenden Explosion, die aus Martins Stirn spritzte, ließ meinen Kaffee durch die Luft fliegen. Scheiße, dachte ich mit einem Blick auf Hemd und Anzug. Ruiniert. Hätten sie damit nicht bis nach dem Frühstück warten können? Dann wiederum, dachte ich, als ich mein Hemd mit der Serviette betupfte und grimmig zur Tür starrte: Vielleicht waren es Martins Leute. Vielleicht würde es schneller gehen, als ich dachte.
    Aber als ich die Tür aufriss– ich traute meinen Augen kaum–, stand da Boris. Zerknittert, mit roten Augen, abgespannt. Schnee in den Haaren, Schnee auf den Schultern seines Mantels. Ich war zu verblüfft, um erleichtert zu sein. » Was…? « , fragte ich, als er mich umarmte, und wandte mich dann an den entschlossen blickenden Portier, der mit schnellen Schritten durch den Korridor auf uns zukam: » Nein, es ist alles in Ordnung. «
    » Sehen Sie? Warum soll ich warten? Warum soll ich warten? « , rief er wütend und fuchtelte mit dem Arm in die Richtung des Portiers, der wie angewurzelt stehen geblieben war und uns anstarrte. » Hab ich es nicht gesagt? Ich habe gesagt, ich weiß, wo sein Zimmer ist! Woher soll ich wissen, wenn nicht wäre mein Freund? « Er drehte sich zu mir um. » Ich weiß nicht, warum dieser Aufstand. Lächerlich! Ich stehe ewig da rum, und niemand ist da! Niemand! Wüste Sahara! « Er funkelte den Mann an. » Warten, warten! Klingeln! Und kaum gehe ich rauf– › Moment, Sir, Moment ‹« – mit winselnder Babystimme– »› kommen Sie zurück ‹ –, und dann rennt er hinter mir her… «
    » Danke « , sagte ich zu dem Portier, besser gesagt, zu seinem Rücken, denn nach ein paar überraschten Blicken von einem zum andern hatte er sich wortlos umgedreht und ging weg. » Vielen Dank! Im Ernst « , rief ich ihm durch den Korridor nach. Es war ja gut zu wissen, dass sie Leute aufhielten, die einfach nach oben stürmen wollten.
    » Selbstverständlich, Sir. « Er sah sich gar nicht um. » Frohe Weihnachten. «
    » Lässt du mich jetzt rein? « , fragte Boris, als die Aufzugtür sich geschlossen hatte und wir allein waren. » Oder bleiben wir hier stehen und starren uns zärtlich an? « Er roch ranzig, als habe er seit Tagen nicht geduscht, und in seinem Blick lag leise Verachtung und große Selbstzufriedenheit.
    » Ich… « Ich hatte Herzklopfen, und mir war wieder schlecht. » Für einen Moment, ja. «
    » Für einen Moment? « Er musterte mich geringschätzig. » Musst du irgendwohin? «
    » Ehrlich gesagt, ja. «
    » Potter… « Beinahe humorvoll stellte er seine Tasche ab und befühlte meine Stirn mit den Fingerknöcheln. » Du siehst schlecht aus. Hast du Fieber. Siehst aus, als ob du gerade den Panama-Kanal gegraben hättest. «
    » Mir geht’s bestens « , sagte ich knapp.
    » Siehst du aber nicht bestens aus. Du bist weiß wie ein Fischbauch. Wieso bist du so angezogen? Wieso gehst du nicht ans Telefon? Was ist das? « Sein Blick ging an mir vorbei, und er hatte das Frühstückstablett entdeckt.
    » Bitte. Bediene dich. «
    » Na, wenn du nichts dagegen hast, gern. Was für eine Woche. Bin die ganze Nacht herumgefahren. Eine beschissene Art, den Heiligen Abend zu verbringen. « Schulterzuckend warf er den Mantel ab und ließ ihn auf den Boden fallen. » Na, um die Wahrheit zu sagen, ich hab’s schon oft schlimmer getroffen. War wenigstens kein Verkehr auf der Autobahn. Mussten unterwegs an einem grässlichen Laden Halt machen. War sonst nichts offen. Tankstelle, Frankfurter Würstchen mit Senf, normalerweise mag ich gern, aber, o mein Gott, mein Magen… « Er hatte sich ein Glas von der Minibar genommen und goss sich Champagner ein.
    » Und du hier. « Er wedelte mit der Hand. » Feines Leben. Im Schoß des Luxus. « Er hatte seine Schuhe abgestreift und wackelte mit den Zehen in feuchten Socken. » Gott, meine Füße sind erfroren. Sehr matschig auf der Straße– Schnee wird zu Wasser.

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