Der Distelfink
Möchtest du einen Tee, Margaret? « , fragte Hobie.
» Ja, bitte « , antwortete sie knapp. » Zitrone und Honig. Und einen winzigen Schuss Scotch. « Zu mir sagte sie in freundlicherem Ton: » Es tut mir schrecklich leid, aber ich fürchte, wir haben jetzt ein paar Erwachsenenangelegenheiten zu besprechen. Wir treffen uns gleich mit dem Anwalt. Sobald Pippas Krankenschwester da ist. «
Hobie räusperte sich. » Ich sehe nicht, was es schaden sollte, wenn… «
» Darf ich zu ihr hinein? « Ich hatte nicht genug Geduld, um zu warten, bis er seinen Satz beendet hätte.
» Natürlich « , sagte Hobie schnell, bevor Tante Margaret eingreifen konnte, und wandte sich genau im richtigen Moment von ihr ab, um ihrem erbosten Gesichtsausdruck zu entgehen. » Du kennst den Weg doch noch, oder? Einfach da durch. «
VIII
Das Erste, was sie zu mir sagte, war: » Machst du bitte das Licht aus? « Sie saß aufrecht in die Kissen gelehnt und hatte die Stöpsel ihres iPods in den Ohren. Im Licht der Deckenlampe sah sie geblendet und desorientiert aus.
Ich knipste sie aus. Das Zimmer war leerer; an den Wänden stapelten sich Kartons. Ein feiner Frühlingsregen rieselte gegen die Fensterscheiben, und draußen im Garten hoben sich die schaumig weißen Blüten eines Birnbaums hell vor der nassen Ziegelwand ab.
» Hallo « , sagte sie und faltete die Hände ein bisschen fester auf der Bettdecke.
» Hi « , sagte ich und wünschte, ich würde nicht so unbeholfen klingen.
» Ich wusste, dass du es bist! Ich hab dich in der Küche sprechen hören! «
» Ach ja? Woher wusstest du denn, dass ich es bin? «
» Ich bin Musikerin! Ich habe ein sehr scharfes Gehör. «
Inzwischen hatten meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt, und ich stellte fest, dass sie weniger gebrechlich aussah als bei meinem ersten Besuch. Ihr Haar war ein kleines bisschen nachgewachsen, und die Metallklammern waren weg, auch wenn die wulstige Linie der Verletzung noch zu sehen war.
» Wie fühlst du dich? « , fragte ich.
Sie lächelte. » Schläfrig. « Ich hörte den Schlaf in ihrer Stimme, rau und süß an den Rändern. » Möchtest du teilen? «
» Was teilen? «
Sie drehte den Kopf zur Seite, zog einen der Ohrhörer heraus und reichte ihn mir. » Hör zu. «
Ich setzte mich zu ihr auf das Bett und steckte mir den Knopf ins Ohr. Ätherische Harmonien, unpersönlich, durchdringend– wie ein Funksignal aus dem Paradies.
Wir schauten einander an. » Was ist das? « , fragte ich.
» Äh « , sie schaute auf den iPod, » Palestrina. «
» Oh. « Aber mir war egal, was es war. Ich hörte es nur wegen des regnerischen Lichts und des weißen Baums vor dem Fenster, wegen des Donners und ihretwegen.
Das Schweigen zwischen uns war glücklich und seltsam, verbunden durch das Kabel und das dünne Echo der eisigen Stimmen. » Du brauchst nicht zu reden « , sagte sie. » Wenn du keine Lust hast. « Ihre Lider waren schwer, und ihre Stimme klang schlaftrunken und geheimnisvoll. » Die Leute wollen immer reden, aber ich bin gern still. «
» Hast du geweint? « Ich schaute sie ein bisschen genauer an.
» Nein. Na ja– ein bisschen. «
Wir saßen da und sagten nichts, und es fühlte sich nicht unbeholfen oder komisch an.
» Ich muss weg « , sagte sie dann. » Weißt du das? «
» Ja, ich weiß es. Er hat es mir erzählt. «
» Es ist furchtbar. Ich will nicht weg. « Sie roch nach Salz und Medizin und nach etwas anderem, ein bisschen wie der Kamillentee, den meine Mutter bei Grace’s kaufte, grasig und süß.
» Sie macht einen ganz netten Eindruck « , sagte ich. » Schätze ich. «
» Schätze ich « , wiederholte sie düster und strich mit der Fingerspitze über die Kante der Bettdecke. » Sie hat etwas von einem Swimmingpool gesagt. Und von Pferden. «
» Das klingt doch ganz gut. «
Sie blinzelte verwirrt. » Vielleicht. «
» Kannst du reiten? «
» Nein. «
» Ich auch nicht. Aber meine Mutter konnte reiten. Sie hat Pferde geliebt. Sie ist immer bei den Kutschpferden am Central Park stehen geblieben und hat mit ihnen gesprochen. Irgendwie « , ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte, » irgendwie war es fast so, als ob sie mit ihr sprächen. Sie versuchten zum Beispiel, sich nach ihr umzudrehen, wenn sie vorbeikam, obwohl sie Scheuklappen trugen. «
» Ist deine Mutter auch tot? « , fragte sie schüchtern.
» Ja. «
» Meine Mutter ist tot, seit… « Sie brach ab und dachte nach. » Ich kann mich nicht erinnern. Sie ist in einem
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