Der Domino-Killer
Hühnchen machst, kümmere ich mich um den Salat», sagte ich.
«Abgemacht. Ich koche dazu noch Reis.»
Meine Mutter war eindeutig die bessere Köchin von uns beiden, und einen Salat konnte man nur schwerlich ruinieren. Als wir fertig waren, gab es ein einfaches Abendessen, das wir zusammen mit meinem Vater am Küchentisch aßen. Ich erbot mich, den Abwasch zu erledigen, und ging danach zu meinen Eltern ins Wohnzimmer, wo wir zusammen fernsahen. Eine Sitcom über das Leben in der Großstadt … Ich spürte, dass meine Mutter sich nicht darauf konzentrieren konnte, und mir ging es genauso. Nachdem wir gegessen hatten und ich hier nun ruhig saß, begannen meine Gedanken wieder zu kreisen.
Mac hatte bis jetzt noch nicht zurückgerufen. Diesmal fiel mir dafür keine vernünftige Erklärung ein; ich war ganz sicher, dass er meinen Anrufen nicht absichtlich auswich. Alan hatte sich ebenfalls nicht gemeldet. Allerdings bereitete der ausbleibende Anruf von Mac mir mehr Kopfzerbrechen.
Ich ging nach oben, fuhr meinen Laptop hoch und fütterte das Internet mit meinen Fragezeichen. Das Stichwort Neil Tanner brachte nur alte Zeitungsartikel über den Mord an seinen Eltern und sonst nichts weiter. Zu Martin Price erhielt ich zahlreiche Einträge und Blogs, in denen es um die Domino-Morde ging. Viel Geschreibsel, aber keinerlei neue Informationen, keine Antworten auf meine Fragen. Um bei der Weltmission in Washington anzurufen, war es mittlerweile schon zu spät, also sah ich mich auf ihrer Website um. Nancy Maxtors Name tauchte auf einer Liste von Freiwilligen auf, die Flüchtlingen im Kosovo geholfen hatten, ein Datum dazu gab es nicht, aber das musste jetzt ungefähr zehn Jahre her sein. Das zumindest passte zu Christas Aussage, dass ihre Mutter für die Organisation arbeitete. Als ich die Aktivitäten der Weltmission in Myanmar recherchierte, fand ich heraus, dass sie sich vor allem auf einen Ort in der Nähe von Rangun konzentrierten, so wie Christa es beschrieben hatte.
Als Nächstes googelte ich Christa Castillo, den Namen aus dem Zeitungsausschnitt. Es war ein häufig vorkommender Name, aber in Verbindung mit Essex County gab es nur einen Treffer, einen Artikel aus dem Archiv der New York Times , der achtzehn Jahre alt war.
In East Orange, New Jersey, hat ein Feuer in einem zweistöckigen Wohnhaus das Leben von vier Mitgliedern der Familie Castillo gekostet, die ursprünglich aus dem spanischen Galizien stammte. Nach ersten Ermittlungen wurde das Feuer durch ein fehlerhaftes Stromkabel an einem elektrischen Heizkörper im Schlafzimmer der Eltern verursacht. Überlebt hat nur die zehnjährige Tochter Christa. Ihr älterer Bruder und die jüngere Schwester kamen gemeinsam mit den Eltern in den Flammen um. Verwandte des Kindes in Galizien konnten nicht ermittelt werden.
Das erklärte den Namenswechsel: Christa war über Nacht zur Waise geworden, und Nancy Maxtor musste sich ihrer angenommen und sie adoptiert haben. Und aus ähnlichen Gründen hatte sie auch Neil Tanner ‹adoptiert›. So ergab alles einen Sinn; Nancy Maxtor war genau der Typ Mensch, der aus seinen Überzeugungen heraus zu etwas Derartigem bereit war. Oberflächlich betrachtet ein Akt des Mitgefühls. In Wirklichkeit aber konnte es riskant werden, jedes Straßenkind bei sich aufzunehmen, wenn es nicht sogar vollkommen verrückt war. Ich verstand ja, dass sie das Mädchen adoptiert hatte. Aber wieso hatte sie auch die Verantwortung für einen Jungen übernommen, der seine Eltern ermordet hatte? Das konnte ich einfach nicht nachvollziehen. Deshalb zweifelte ich nun auch an Nancys Motiven für ihre anderen guten Werke. Angesichts all dieser Tatsachen schien es mir jetzt ziemlich abwegig, dass Christa und Neil sich nicht gekannt haben sollten. Das Gegenteil musste der Fall sein.
Was verheimlichte Christa uns sonst noch?
Ich versuchte es wieder bei Mac, weil ich unbedingt wissen wollte, ob er zu denselben Schlüssen gelangt war wie ich und sich die gleichen Fragen stellte – hatte aber noch immer keinen Erfolg.
Meine Eltern sahen immer noch fern, als ich wieder in die Küche hinunterging und mir einen Tee machte. Ich stand beim offenen Fenster, atmete die klare, kalte Abendluft ein. Es war jetzt dunkel draußen. Ruhig, abgesehen vom Zirpen unsichtbarer Grashüpfer. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei, dann war sein Motorengeräusch nicht mehr zu hören, und alles wurde wieder still. Die dritte Nacht seit Susannas Verschwinden: eine Ewigkeit. Nach ein
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