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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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magisch, wie sich die Inschriften plötzlich aus dem Weiß lösen! Als ich hereinkam und mich allein …«, sagt er und redet weiter und Réa folgt gebannt allen Regungen dieser Lippen, die sie eben geküsst hat, bis sie in seiner Hand die erloschene Kerze bemerkt. Das schwarze Dochtstümmelchen kommt ihr wie ein bitteres Sinnbild vor … Korrekter, kühler Mann baut abgewiesene Frau wieder auf. Wahrscheinlich traut er sich nicht zu verschwinden, bevor er mich ein wenig stabilisiert hat.
    »Ich komme schon klar«, sagt sie, denkt aber, dass sie jetzt eigentlich ein Wunder guthätte, dass Henry jäh alle Zurückhaltung verlöre und sie verlangend packen würde. Ob sie sich ihm dann verweigern würde, um ihre Demütigung zu heilen? Wie nackt sie sich unter diesem dünnen, schäbigen Stoff fühlt …
    »Ich komme schon klar«, wiederholt sie, »ich wollte dich nicht bedrängen. Diese verflixte Euphorie, immer wenn ich etwas beendet habe …«
    »Du hast auch allen Grund dazu. Aber jetzt schau mal in das Mäppchen.«
    Als sich Henry nach einer mehr angedeuteten als wirklichen Umarmung verabschiedet hatte und verschwunden war, blickte sie mit großer Verwunderung lange auf die hinter ihm zugefallene Tür, als könne sie nicht glauben, dass er wirklich fort war. Etwas wie Empörung stieg in ihr hoch. Er hatte sie doch getäuscht! Ihre herzlichen Gespräche mussten auch ihm viel bedeutet haben. Wie oft hatten sie gleich empfunden! Wie innig er ihr manchmal zugehört hatte! Wie oft sie gemeinsam gelacht hatten …
    »Eine Frau, die liebt, hat immer recht«, schrie Réa und löschte die Kerzen, um sich im Dunkeln aufs Feldbett zu werfen. Auf einer Konsole darüber leuchtete winzig das rote Aufnahmelämpchen des Tonbandes.
    Der niedergehaltene Groll trieb Réa zurück in die Arbeit für ihre Sans Papiers und zu Höchstleistungen an. Binnen dreier Tage liefen wieder alle Fäden der Aktionswoche bei ihr zusammen; stundenlang hatte sie telefoniert und überall ihre Präsenz markiert. Sie hatte es sogar geschafft, den Hohen Kommissar des Uno-Flüchtlingshilfswerks in Genf ans Telefon zu bekommen und von ihrem Projekt zu begeistern. Loretan, den Banker, brachte sie dazu, ihr voll ausgestattete Büroräume zur Verfügung zu stellen, »weil wir doch eine Schaltzentrale brauchen«. Seine einzige Bedingung war, dass nicht publik würde, wer die Kosten trug. Das Hilfswerk überzeugte sie davon, ihr für die kommenden Monate eine kleine Bürocrew inklusive Pressereferentin auszuleihen. Man hoffe natürlich, dass dabei auch etwas Publizität in eigener Sache abfiele, sagten die Hilfsbereiten von Mondo Unio . In einer Nachtsitzung mit dem Vorstand von VeSaRe entstand eine Erklärung, die als »Humane Petition« lanciert werden sollte, gekoppelt an eine landesweite Spendenaktion.
    Gefordert wurde eine umfassende Amnestie: Allen Sans Papiers müsse der reguläre Flüchtlingsstatus zuerkannt werden.
    Zu Hilfe kam Réa, dass zu der Zeit eine Meldung mit Bild um die Welt lief. Zwei peruanische Jungen waren in Hamburg von einem Hausdach gesprungen. Die Brüder hatten mit ihrem Vater zwei bange Jahre in der Illegalität verbracht. Er war erwischt und abgeschoben worden, hatte seine Söhne aber nicht preisgegeben. Als die beiden nicht mehr weiterwussten, sprangen sie – der Dreizehnjährige war tot. Das Agenturbild zeigte den querschnittsgelähmten Elfjährigen im Rollstuhl.
    Réa erhielt den Anruf eines renommierten Regisseurs, der von ihrem Theaterstück im Münster erfahren hatte, von einer freien Produzentin nämlich, die häufig für ARTE arbeitete und mit Henry bekannt war. Die Produzentin wollte ihrem Sender eine Aufzeichnung dieses »Martyriumsspiels« vorschlagen. Er werde nächste Woche in der Gegend sein und wolle sie treffen, sagte der Regisseur. Vielleicht habe er sogar Geldgeber an der Hand. Sein Freund Götz Brandauer würde aus Solidarität eine kleine Rolle übernehmen. Es klang so unglaublich gut, dass Réa einen Schwindel nicht ausschloss.
    »Wenn der mich verarscht, dann …«, knurrte sie, nachdem sie eingehängt hatte. Shandar, ihr bester Partner seitens der Sans Papiers, der ihr in letzter Zeit kaum mehr von der Seite wich, Briefe zur Post und Pizzas zurückbrachte, wollte wissen, was verarscht bedeute. Er verstand ihre um Anstand bemühte Erklärung nicht und lachte. Sie erläuterte ihm, worum es ging. » Parfait! «, sagte er. »Ein Geschenk von der Himmel! Das ist immer wahr.«
    Jedenfalls ließ Réa alles stehen und

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