Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
auf ihn lenkten, konnte er nun wirklich nicht gebrauchen.
»Bist du dann ein verkleideter Prinz?«, wollte die andere wissen. Sie hatte hellblondes, zu vier Zöpfen geflochtenes Haar und legte den Kopf schief, während sie ihn mit dunklen Augen musterte.
»Vielleicht.« Er zwinkerte ihnen zu und lächelte beruhigend. »Wo wohnt ihr denn?«
Sie deuteten auf ein Haus mit schäbig grauer Wand. Ben ging hinüber und griff nach der Hintertür. Tatsächlich war sie unverschlossen. »Zeigt ihr mir, wie es von hier auf die Straße geht?«
»Da dürfen wir nicht allein hin«, sagte die Dunkelhaarige, doch die Blonde stand auf und nahm ihn bei der Hand. »Suchst du eine Prinzessin?«
»Ja.«
»Aber in Falcenzca gibt es keine.«
»Doch.« Ben zwinkerte ihr verschwörerisch zu und legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Nur wird sie von einem bösen Händler gefangen gehalten. Ich bin hier, um sie zu befreien.«
»Das ist gut«, sagte das Mädchen und sah ihn mit großen dunklen Augen an. »Böse Händler gibt es hier viele.« Sie zögerte einen Moment lang, dann fügte sie hinzu: »Aber nette gibt es auch.«
Sie führte ihn ins Haus und einen schmalen kahlen Flur am Treppenhaus vorbei bis zur Vordertür. Dort zeigte sie ihm einen im Stützbalken verborgenen Haken, an dem ein Schlüssel hing, viel zu hoch für das Mädchen, doch sie wollte, dass Ben sie hochhob, damit sie den Schlüssel nehmen und aufsperren konnte. Als er sie ließ, lächelte sie glücklich. Dann hängte er den Schlüssel zurück, trat auf die Straße hinaus und drehte sich noch einmal um.
»Erzähl niemandem von mir, ja?«, verlangte er. »Sonst ist die Prinzessin in Gefahr.«
Sie nickte ernst und presste die Lippen fest aufeinander. Behutsam schloss Ben die Tür.
Mit einem raschen Blick nach rechts und links vergewisserte er sich, dass kein Passant ihn auffällig musterte. Er schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte möglichst lässig und breitbeinig die Straße hinab, wie ein Schiffsjunge auf Landgang, der viel Zeit und nichts zu befürchten hatte. Dabei lauschte er aufmerksam auf die Gespräche um ihn her, doch niemand schien ihn zu erkennen.
Nach drei Querstraßen erreichte er die Stadtmauer, an der er sich orientieren konnte. Nun wusste er wieder, wo in Falcenzca
er sich befand. Pfeifend ging er weiter, bis er auf einen schlanken Baum stieß, an dessen glatten silbrig grauen Stamm ein Pergament genagelt war. Drei Gesichter waren darauf abgebildet, die er nicht erkannte. Es handelte sich um zwei junge Männer und ein Mädchen, die im angefügten Text näher beschrieben wurden.
GEÄCHTETE GESUCHT
Lebend
1000 GULDEN BELOHNUNG
BEN – hager, braunes wildes Haar, verwahrlostes Aussehen,
Hose aus hundert bunten Flicken
YANNKO QUEPAHNI – normal gebaut, kurz geschorenes
dunkles Haar, dunkle Augen, scheinheiliges Lächeln,
unzüchtig aufgeknöpftes Hemd
NICA YIRKHENBARG – schlank, langens blondes Haar,
schmales Gesicht, dunkelbraune Augen, weißes Kleid
Sie sind des Verrats am Großtirdischen Reich und der
Ausübung schlimmster ketzerischer Handlungen überführt.
Trotz ihres jungen Alters von 15 oder 16 Jahren haben sie
mehrere Männer auf dem Gewissen und eine ganze Stadt
terrorisiert.
Vorsicht!
Sie sind mit Samoth im Bunde!
Möglicherweise in Begleitung von
zwei wilden geflügelten Drachen.
Ben starrte das Pergament an, und erkannte sich nicht wieder, nur die Zeichnung von Nica wies eine gewisse Ähnlichkeit mit dem echten Mädchen auf.
»Tausend Gulden«, hauchte er. Das gelbe Drachensiegel in der unteren Ecke der Verlautbarung zeigte, dass es der mächtige Orden der Drachenritter höchstselbst war, der die Belohnung ausgesetzt hatte. Wenigstens stand auf dem Steckbrief lebend, und nicht lebend oder tot.
Für einen kurzen Moment wurden Bens Beine schwach, als ihm bewusst wurde, wer nun alles hinter ihnen her war. Jeder ehrbare Ritter und jeder verlauste Kopfgeldjäger, der etwas auf sich hielt, ja, sogar zahlreiche einfache Bürger witterten das schnelle Geld, wie er eben erlebt hatte. Wenn man das Alter der drei in Betracht zog, war die Belohnung erstaunlich hoch. Leicht verdientes Geld – natürlich nur, sofern man sie ohne die Drachen antraf.
»Ja. Tausend Gulden sind ein Haufen Geld«, brummte ein alter Mann, der sich neben Ben gestellt hatte und sein gehauchtes Erstaunen falsch interpretierte. »Wäre ich noch jünger, würde ich selbst mein Glück versuchen.« Er musterte Ben von oben bis unten.
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