Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
du nur die Gewissheit, dass es weiter unten nicht immer schlimmer wird? Wieso springst du?«
Gedankenverloren sammelte er ein paar Steinchen auf und schleuderte sie ins Wasser, weit entfernt von der Stelle, wo er die Fische gesehen hatte. Stein um Stein warf er in die Dunkelheit, das beruhigte.
Was in Yanko vorging, wusste er nicht. Yanko hatte seine Eltern in Trollfurt zurückgelassen, doch auch wenn sein Vater ihn regelmäßig geschlagen hatte, hatte ihn niemand töten wollen, und er hatte niemanden getötet. Immer noch gab er den Spaßmacher, er zeigte Ben nicht, wie viel Angst und Wut in ihm steckten, wie viel Verlangen nach Vergeltung. Doch er unterstützte Nica, als wäre es auch ihm wichtiger, Rache zu üben, als einen Drachen zu befreien. Vielleicht sprach er auch mit Nica über seine Ängste und sie mit ihm. Nur mit Ben sprach niemand.
Gähnend warf er einen weiteren Stein in den Bach. Sie standen zu dritt gegen die ganze Welt, und doch fühlte er sich, als wäre er allein. Die beiden hatten einander, doch wen hatte er?
»Dämlicher Schlammschlürfer, hör auf, so jämmerlich herumzuheulen, und reiß dich zusammen«, knurrte er sich selbst an. »Wir sind zu sechst. Und auch du hast deine Geheimnisse vor Yanko, deine Angst und Nicas Kuss. Trotzdem bist du sein Freund.«
Die letzten Steine schleuderte er gleichzeitig ins Wasser, sprang von seinem Felsen und stieg langsam durch die Dunkelheit wieder zum Feuer hinab. Er würde nicht mit Nica streiten wegen eines Mannes, der sein Mitleid nicht verdiente.
»Und? Hat er dir was verraten?«, fragte Ben, als er wieder bei seinen Freunden auftauchte.
Nica und Yanko saßen am Feuer und starrten in die Flammen, die Ritter kauerten Rücken an Rücken zusammengekrümmt im Käfig. Die Fackel steckte noch immer in einem Felsloch und tauchte sie in flackerndes Licht.
»Nein.«
»Und... wie geht es ihm?« Ben musste einfach fragen.
»Er hat sich in die Hose gemacht.«
»Und sonst? Hast du ihn schwer verletzt?«
»Verletzt?« Nica starrte ihn an. »Mit dem Messer und all dem Gerede von Blut habe ich ihm Angst gemacht, sonst nichts. Ich habe ihm genau das zurückgezahlt, was er mir angetan hat.«
»Gut.« Ben war erleichtert. Vielleicht hatte er ja alles falsch eingeschätzt.
»Gut? Nichts ist gut. Erst wenn ich Norkham in die Finger bekommen habe, ist es gut. Er hat mir so viel angetan, und ich werde ihm noch mehr antun. Niemand wird ihn von seinem Pfahl losbinden.«
Also doch. Ben schloss die Augen und atmete tief durch. »Überlass ihn doch dem Orden. Du hast die Galgen gesehen. Sie sind hinter ihm her, sie werden ihn finden und hängen. Mehr Strafe kannst du doch für ihn nicht wollen.«
»Nein, der Orden findet ihn nicht. Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Zendhen weiß nichts!«
»Aber dieser Zendhen hat so viel Hirn wie ein toter Troll, natürlich weiß er nichts. Doch die anderen werden ihn aufspüren.«
»Nein, Zendhen ist nicht dumm. Der Dumme ist Friedbart.«
»Ist doch egal. Besonders helle ist er auch nicht.«
»Nein, das nicht. Aber es war Schicksal, dass sie Norkham nicht erwischt haben, dass sein Galgen frei geblieben ist. Das ist so wegen unseres Schwurs. Er ist meiner«, sagte Nica und fügte hastig hinzu: »Unserer.«
»Lass ihn ziehen, er wird dem Galgen nicht entgehen. Wir holen uns den Drachen. Das haben wir geschworen, und wir wissen, wo wir ihn finden.«
»Wahrscheinlich finden könnten«, sagte sie. »Er war sich nicht sicher.«
»Wir haben’s geschworen.«
»Wir haben auch geschworen, Norkham zur Strecke zu bringen. Auch du.«
»Aber zuerst haben wir die Befreiung des Drachen geschworen! Und von ihm haben wir eine Spur!«
»Ben, hör uns zu«, mischte sich Yanko ein. Und da war es, dieses kleine Wort, das ihn tief traf. Ein Wort, das wie Verrat schmeckte: uns.
Mehr brauchte er nicht zu hören, es gab also ihn und sie, einer gegen zwei. Wieder hatten sie sich besprochen, und ihm
wurde einfach nur das Ergebnis mitgeteilt. Er hatte nicht teilgehabt an dem Gespräch, keinen Einfluss nehmen können, nichts. Erneut hatten sie ihn ausgeschlossen. Wütend unterdrückte er die Stimme in seinem Hinterkopf, die ihm sagte, dass er sich diesmal selbst zurückgezogen hatte. Sie hätten mich ja zurückholen können, dachte er bitter. Wenn sie Wert auf seine Meinung legten.
»Was?«, fauchte er. »Du hast Recht, wir wissen, wo wir nach dem Drachen suchen können. Diese drei Spuren haben wir. Und um ihnen zu folgen, müssen
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