Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten
»Juri braucht Hilfe!«
Doch Aiphyron beachtete ihn nicht. Dunkle Flammen trieften aus seinem Maul.
Ben wankte, so schnell er konnte, zu Nica hinüber und riss einen brennenden Ast aus dem Feuer. Funken stoben auf, glimmendes Holz fiel über die steinerne Umrandung.
»Was tust du?«, schrie Nica, die Yankos Fuß in die Hände
genommen hatte und ihn bibbernd warm rieb. Dabei warf sie gehetzte Blicke in alle Richtungen, bereit, jederzeit zu fliehen.
»Ich muss Juri helfen!«
»Damit?«
»Ja! Wirf mehr Holz nach!«, schrie Ben und rannte mit schweren Beinen wieder zum Fluss. Juri hatte ihn gerettet, er musste ihm beistehen! Er würde ihn nicht im Stich lassen.
Doch am Ufer angekommen, blieb Ben stehen und ließ den Ast sinken. Die brennende Spitze sackte zischend ins Wasser und verlosch.
Der weiße Drache war tot. Mit verdrehten Augen lag er auf dem Rücken im Fluss, um ihn breitete sich eine Eisschicht aus. Keuchend kauerte Juri neben ihm, Blut rann ihm aus zahlreichen Wunden. Allmählich wanderte das wachsende Eis des Toten auf ihn zu, in wenigen Minuten hätte es ihn umschlossen.
»Juri!« Ben ließ den Ast ganz fallen und rannte zu dem verwundeten Drachen.
»He, Ben.« Er versuchte ein Lächeln.
»Nichts da mit he. Beweg deinen dicken Hintern hier weg, bevor er dir noch einfriert!«
»Ich...«
»Los jetzt!«
»Ich... kann nicht...«
Verzweifelt legte Ben ihm die Hände auf eine offene Wunde am Hinterbein, die größte, die er auf den ersten Blick entdecken konnte. Das wunde Fleisch war so hart, als wäre es gefroren. Viel zu kühles Blut sprudelte ihm zwischen den Fingern hindurch. Mit zusammengebissenen Zähnen knirschte er: »Heile!«
Kälte kroch ihm unter die Haut und fraß sich bis in die
Knochen, schwimmendes Eis stieß ihm gegen die Hüfte, doch er achtete nicht darauf. Er versuchte Juri zu heilen und ihn gleichzeitig ein Stück von dem toten Drachen fortzuschieben, von der wachsenden Eisfläche. Tief grub er die Füße in den Grund des Flusses und drückte mit aller Kraft. Natürlich war der massige Körper viel zu schwer.
»Beweg dich!«, schrie er wieder, und dann: »Heile, verdammte Wunde, heile!«
Kälte drang ihm in die Finger, eine eisige Kälte aus der Wunde, die seine Unterarme hinaufkroch und ihn fast dazu gebracht hätte, loszulassen. Eine Kälte, die seine Finger bewegungslos machte, gefühllos, doch stur schickte er weiterhin seine Heilkräfte hindurch. Und wenn ihm einer abbrach, das wäre egal, Juri musste leben! Dann, endlich, spürte er das vertraute Pochen, das ihm verriet, dass seine Kräfte zu wirken begannen. Langsam floss das Blut zäher, bis es schließlich ganz versiegte.
Ein Zittern durchlief Juris Körper, mühsam kämpfte er sich auf die Beine, torkelte ein paar Schritte flussabwärts und fiel wieder ins Wasser. Bis hierher würde sich das Eis nicht ausbreiten.
Ben stapfte hinterher. Er war vollkommen durchgefroren, seine Arme waren taub, doch das Wasser dort, nur ein Stück entfernt, war wärmer. So warm, wie ein Fluss im Spätsommer sein sollte. Seine Muskeln begannen zu kribbeln, die ersten schienen wieder zu erwachen.
»Los, ans Ufer«, keuchte er.
»Nein«, sagte Juri leise. »Wasser hilft mir.«
»Meinetwegen.« Schwer atmend legte Ben die Hände auf die nächste Wunde. Der Kampflärm auf der Lichtung hinter ihnen war verklungen.
»Wie geht es den anderen?«
»Gut, glaube ich. Hoffe ich.« Dann holte Ben Luft und rief: »Alles in Ordnung?«
»Ben! Ben, wo bist du?«, dröhnte Aiphyrons Stimme herüber.
»Hier!«
Einen Augenblick später brach Aiphyron durchs Unterholz. Er sah angeschlagen aus, sagte aber, dass die weißen Drachen tot seien. Allen anderen ging es gut. »Zumindest annähernd. Feuerschuppe friert, seine brüchigen Schuppen splittern, wenn er sich bewegt.«
Ben sah ihm in die Augen. Die brennende Wut war verschwunden, nun lag Sorge in ihnen.
»Ich sehe gleich nach ihm«, sagte er matt. »Erst muss ich mich noch um Juri kümmern.«
»Ich sehe zu, dass ich Feuerschuppe aufwärme. Wozu trage ich dieses verdammte Feuer denn in mir.« Mit diesen Worten wandte sich Aiphyron ab und stob davon.
Eine gute Stunde später wankte Ben auf die Lichtung. Jede der zahlreichen Wunden Juris hatte er mitten im Fluss verschlossen, nun fühlte er sich vollkommen ausgelaugt. Er musste wieder zu Kräften kommen, und vor allem musste er sich aufwärmen. Niesend und frierend warf er die nasse Kleidung am Feuer von sich und stellte sich zitternd vor die
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