Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Liebsten mit.«
»Er ist nicht mein Liebster«, sagte ich, doch sie hatte schon aufgelegt.
18
DIE SEELE DER VERANSTALTUNG
Ray kam es spanisch vor, dass ich ihn zu einem Abendessen in den Privatgemächern eines Arztes in einer für ihn, Ray, piekfeinen Gegend einlud.
»Wie das?«, fragte er. »Warum ich?«
»Als mein Freund.«
»Bin ausdrücklich ich eingeladen oder ist es eines von diesen ›Alice-Thrift-und-Begleitung‹-Arrangements?«
»Ausdrücklich du.«
»Weil …?«
»Weil normaler gesellschaftlicher Umgang so funktioniert: Man trifft neue Leute, man lernt sich näher kennen, man lädt einander zum Essen ein.«
»Ist er dein Arzt?«
Nein, sagte ich, Dr. Shaw - Henry - sei mein Freund. Als Geburtshelfer bewege er sich beruflich zwar in einer anderen Umlaufbahn als ich, aber immerhin könne ich ihn und seine Partnerin Jackie als … Arbeitskollegen bezeichnen.
»Wer kommt noch?«
»Nur wir beide.«
»Wann?«
»Kommenden Samstag«, sagte ich, in der Hoffnung, er habe schon längst etwas mit seinen Cousins ausgemacht oder einen geschäftlichen Termin außerhalb, einen Pralinen-Kongress in New York zum Beispiel.
»Ich bin dabei. Weißt du, ob sie eine Nussallergie haben?«
Ich sagte, ich wisse es nicht. Ich müsse jetzt auflegen. Hätte heute Dienst in der Notaufnahme und alle dreißig Sekunden käme ein Ambulanzwagen herein.
»Sehen wir uns heut Abend?«
Weil es einfacher war, als Erschöpfung, Wäsche und gefühlsmäßige Ungewissheit zu erörtern, sagte ich ja. Aber mussten wir unbedingt ausgehen? Würde es ihm etwas ausmachen, wenn wir nichts unternähmen?
»Daheim bleiben?«, gluckerte er. »Nichts dagegen. Warum sollte ich ausgehen wollen, wenn ich eh die ganze Zeit nur an dich in deinem rosa Pyjama denke. Nein, ich korrigiere: an dich mit deinem rosa Pyjama zusammengeknüllt am Bettende.«
Eigentlich hätte ich die nächsten Angehörigen eines Minderjährigen - Gehirnerschütterung und Hautabschürfungen nach einem Skateboard-Unfall, nichts Lebensbedrohliches - anrufen müssen, doch bei Rays Beschreibung meiner Person als Sexualobjekt hatte es mir die Rede verschlagen.
»Bist du noch da?«
Eine Schar von Schwestern und Ärzten hatte sich um den Empfangstisch versammelt und beäugte gierig das Telefon. »Kann jetzt nicht reden«, flüsterte ich.
»Aber du hast auch an mich gedacht, oder? Meine Kleider auf einem Haufen. Kein Pyjama. Kein Garnichts.«
»Positiv.«
»Ich bring was zum Essen mit. Worauf hast du denn Lust?«
»Egal.«
»Lieb dich«, hörte ich gerade noch, bevor ich ganz aufgelegt hatte.
Er kam mit drei Riesensandwiches à la italienne an, die jeweils geviertelt waren, so dass wir untereinander tauschen konnten. Außerdem schleppte er auch ein in Geschenkpapier verpacktes Kissen an. »Extraqualiät«, sagte er stolz. »Gänsedaunen, aber nicht diese pieksigen Dinger, die ständig herauskommen.«
»Ich möchte dir das Geld dafür geben.«
Das komme überhaupt nicht in Frage, wehrte Ray ab. Ob mir meine Eltern nicht beigebracht hätten, dass man Geschenke nicht bezahle?
»Es ist aber nicht in Ordnung, dass du Geld ausgibst, noch dazu außerhalb der Saison, für die Grundausstattung meines schmucklosen Apartments.«
»Du hast keine Zeit zum Einkaufen. Ich schon.« Er legte die Brote auf meine Küchenplatte, stellte die Flasche Chianti daneben, die er auch mitgebracht hatte, und legte seine Arme um mich. Er küsste mich, trat dann einen Schritt zurück, um mich zu fragen, woran ich dächte und warum ich dreinsähe, als müsse ich eine Rechenaufgabe lösen.
»Red keinen Unsinn. Ich habe an gar nichts gedacht.«
»Magst du nicht, wie ich küsse?«, probierte er es noch einmal.
»Ich mag das sehr wohl. Das ist übrigens genau das, worüber ich mir klar werden will - was passiert, wenn wir uns küssen, und warum.«
»Doc«, sagte Ray. »Das kann doch nicht dein Ernst sein! Musst du alles und jedes unter dem Mikroskop anschauen? Ich sage das nicht wegen mir, sondern wegen dir. Hast du dich irgendwann einmal einfach zurückgelehnt und deinen Spaß gehabt? Ich meine, egal bei was. Einem Film? Einem Witz? Einem Abendessen mit Hummer?«
»Ganz bestimmt.«
»Ich will mich nicht beklagen. Aber Sozialarbeiter bin ich auch keiner. Ich möchte gern das Gefühl haben, dass das hier keine Einbahnstraße ist.«
»Ich bemühe mich ja.«
»Vielleicht ist die Antwort ganz einfach: Niemand zwingt dich, mir zu sagen, was du denkst, wenn es nur eine Ladung kaltes Wasser
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