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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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Autowerkstatt und eine Tankstelle, die mit einem Gebäude verbunden war, das die Moschee sein musste . Die restlichen Behausungen waren einfache Hütten und vorsintflutliche Unterkünfte, Zelte oder Blechplatten, die gegen Holzpfosten gelehnt waren. Nubien. Die Einwohner waren groß und tiefschwarz; ihre langen weißen galabiyyas und die locker gewickelten Turbane, die em-mas, ließen sie noch dunkler aussehen.
    Auf Lucy wirkte Delgo ein wenig wild. Grauhaarige, verschwitzte Männer, die sich mit heiseren Stimmen unterhielten und plötzlich verstummten, als Lucy, O’Hanrahan und Mohammed an ihnen vorbei rollten . Außer Lucy war keine Frau zu sehen.
    Schnaufend hielt ihr Lastwagen an. O’Hanrahan suchte in seiner Tasche nach den Konservendosen, aber Mohammed kannte einige der Leute, und keiner wollte diese Abgesandten aus dem Westen gehen lassen, ohne am Feuer Tee und Essen mit ihnen zu teilen. Lucy stand beiseite und versuchte, möglichst demütig auszusehen, während die Lastwagenfahrer sie als O’Hanrahans junge Braut bewunderten – eine Farce, die sie vor jeder Belästigung schützen würde. Sie entfernte sich ein wenig vom größten Feuer und fragte sich, wie die Männer es so nahe daran aushalten konnten, da doch die Nachmittagshitze fast noch unvermindert anhielt. Lucy und O’Hanrahan teilten sich ein Zimmer mit zwei Feldbetten in dem Gästehaus, in das sie von einer verschleierten alten Nubierin geführt wurden. Die Frau war entzückt, ausländische Gäste zu haben, und plauderte munter vor sich hin, ohne sich darum zu kümmern, daß Lucy und O’Hanrahan kein Wort verstanden. Fürsorglich brachte sie Moskitonetze und eine Kerze. Über der unebenen Holztür, die unten am Boden nicht richtig Schloss , war neben einer verblassten Ansichtskarte von Mekka ein islamischer Spruch aufgemalt. Lucy stellte fest, daß die Tür kein Schloss oder eine sonstige Vorrichtung hatte, um jemanden am Hereinkommen zu hindern. Aber wie jeder, der in diesen Teil der Welt reist, gab sie sich einer fatalistischen Haltung hin: Man kann sich nicht immer nur vorstellen, daß das Schlimmste passiert. Außerdem, dachte sie, sind die-se Menschen moralischer als in der westlichen Welt. Sie glauben, daß Allah ihnen jede Sekunde zusieht.
    Es wurde Abend. Nachdem Lucy ihrem wunden Hinterteil ein paar Stunden Erholung in ausgestreckter Lage gegönnt und ein Gericht mit gebratenem Hähnchen, das die alte Frau brachte, gegessen hatte, wagte sie sich hinaus zu O’Hanrahan, der neben einer Reihe von Männern schweigend auf einer Kiste saß. In der kalten Wüstennacht sehnte sie sich nun nach dem Feuer. Unzählige Sterne blinkten über ihr. »Es ist doch nicht ein Feuer nur für Männer?« fragte Lucy aus dem Hintergrund, das Gesicht noch im Dunkel.
    »Nein, ich glaube, das geht in Ordnung«, erwiderte O’Hanrahan. »Ich habe seit einer halben Stunde nichts mehr zu irgendjemandem gesagt; schleichen Sie sich also unauffällig in den Kreis, Miss Dantan.« Er deutete auf eine Sandmulde neben sich.
    Lucy lächelte, als sie seinen müden Tonfall hörte, bei dem ihr warm ums Herz wurde.
    Plötzlich gab er ihr einen Kuss . »Sie sind meine Frau, erinnern Sie sich?« flüsterte er.
    »Jawohl, mein Herr und Meister.« Sie setzte sich zu seinen Füßen nieder. »Ich kann mich nicht so wie Sie auf den Boden setzen«, erklärte O’Hanrahan von seiner Kiste herab. »Meine Durchblutung ist zu schlecht. Man müsste mir wahrscheinlich die Beine amputieren
    – ich würde nie wieder auf die Füße kommen …«
    Onkel Liam, dachte Lucy. Er hatte einen Hof bei Kankakee, südlich von Chicago, gehabt, eine kleine Farm. Wenn Vater und sein Bruder Liam nicht gerade verkracht waren, fuhren wir manchmal mit dem Bus dorthin. Weil Mutter immer panische Angst hatte, sich zu verspäten, mussten wir unnötig früh aufstehen, um sechs Uhr morgens oder so. Wir fünf Geschwister spielten dann mit den fünf Cousins. In zwei von ihnen, Danny und Scan, war Lucy schrecklich verliebt gewesen. Sie hatten miteinander gerauft und gekämpft, die Jungs hatten immer neue Flüche und trotzige Schimpfwörter auf Lager gehabt, ihre weißen T-Shirts hatten nach Waschmittel gerochen, und sie hatten ihr ein wenig Beachtung geschenkt. Und Onkel Liam machte ein Feuer. Die Erinnerungen an Sommertage und Herbstabende flossen ineinander. Lucy sah sich selbst in einer St.-Eulalia-Windjacke mit Kapuze, zu dünn, um vor der kalten Luft zu schützen, aber sie war der Meinung gewesen, daß sie gut

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