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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Existenz zur Kenntnis, und drängte er sich ihnen auf, reagierten sie unwirsch und mit Verachtung. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun, und für ihn war da kein Platz. Für ihn gab es überhaupt nirgends Platz – wohin er den Blick auch wandte, wurde ihm das nachdrücklich klargemacht. Alles war darauf angelegt, ihm das vor Augen zu führen: die herrschaftlichen Häuser mit ihren dicken Mauern, verriegelten Türen und vergitterten Souterrainfenstern; die gewaltigen Lagerhallen voller Erzeugnisse aus aller Welt, bewacht durch eiserne Rolläden und schwere Tore; die Banken mit ihren unermeßlichen Milliardenschätzen, vergraben in Panzerschränken und Stahlkammern.
     
    Und dann widerfuhr Jurgis eines Tages das Abenteuer seines Lebens. Es war bereits sehr spät abends, und er hatte noch immer nicht das Geld für einen Schlafplatz zusammen. So lange lief er schon draußen herum, daß er von dem fallenden Schnee ganz bedeckt und auch völlig durchgefroren war. Er versuchte sein Glück bei den aus den Theatern strömenden Besucherscharen, rannte hierhin und dorthin und riskierte sehr viel mit der Polizei – festgenommen zu werden erschien ihm in seiner Verzweiflung beinahe schon wünschenswert. Als dann tatsächlich ein Uniformierter auf ihn zu wollte, verlor er jedoch den Mut, rannte in eine Seitenstraße hinein und floh ein paar Häuserblocks weit. Während er dort stand und verschnaufte, sah er einen Mann entgegenkommen, und er stellte sich ihm in den Weg.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, begann er seine übliche Litanei, »könnten Sie mir wohl bitte Geld für ein Nachtquartier geben? Ich habe mir den Arm gebrochen, kann nicht arbeiten und besitze keinen Cent mehr. Ich bin ein rechtschaffener Arbeiter und habe sonst noch nie gebettelt. Ich kann wirklich nichts dafür, Sir ...«
    Gewöhnlich redete er so lange, bis er unterbrochen wurde, aber dieser Mann unterbrach ihn nicht, und so ging Jurgis am Ende der Atem aus. Der andere war stehengeblieben, und Jurgis sah, daß er ein wenig unsicher auf den Beinen stand.
    »Wassassu gesagt?« fragte der Mann plötzlich mit schwerer Stimme.
    Jurgis fing wieder von vorn an, diesmal langsamer und deutlicher.
    Doch ehe er halb durch war, streckte der andere die Hand aus und legte sie ihm auf die Schulter. »Armer alter Junge«, sagte er. »Bis wohl – hick! – in Sch-schwulitäten, was?«
    Dann schwankte er auf Jurgis zu, und die Hand auf dessen Schulter wurde zum Arm um den Nacken. »Da gehssir wie mir, mein Freund. Man hat’s nich leicht auffer Welt.«
    Sie standen unweit einer Laterne, und so konnte Jurgis den anderen näher betrachten. Es war ein junger Bursche, kaum älter als achtzehn und mit hübschem Knabengesicht; er trug einen Zylinder und einen weichen, teuren Mantel mit Pelzkragen.
    Wohlwollend und teilnahmsvoll lächelte er Jurgis an. »Hab leider selbs’n Engpaß, mein Guter«, sagte er. »Meine Alten sin – hick! – Raameltern. Sons wür’ch dir aushelfen. Un woran lieg’s bei dir?«
    »Ich war im Krankenhaus.«
    »Dassa Pech.« Der junge Mann lächelte noch immer liebenswürdig. »Genau wie meine Tanne Polly. Die’s auch inner Klinik. Is mit – hick! – Z-zwillingen niergekomm, ‘s liebe Tannchen. Un du, wassassu gehabt?«
    »Ich hatte mir den Arm gebrochen ...« begann Jurgis.
    »Oooch«, sagte der andere mitfühlend. »A’er trössich, das wächs wieder zusamm. Ich wünsch, mir tät mal einer den Arm brechen – im Ernst, wirklich! Dann würn sie mich besser behanneln. Hick! Hoppla, halt mich fest, Freund! Was kann ich für dich tun?«
    »Ich habe Hunger, Sir«, antwortete Jurgis.
    »Hunger? Warum hassu kein Aambrot gegessen?«
    »Ich habe kein Geld, Sir.«
    »Kein Geld? Haha, da sin wir ja Leinsgenossen, wir zwei beide! Bin nämich auch klamm – so gut wie blank. Warum machssu’s nich wie ich und gehs nach Hause?«
    »Ich habe kein Zuhause«, sagte Jurgis.
    »Wohns nich hier, bis von auswärs, ja? Da tussu mir leid. Na dann kommoch mimmir nach Hause ... Mann, dassa ü’erhaupt die Lösung: Komms missu mir, un wir speisen zusamm zu Aamd! Is so einsam, sin alle ausgeflogen. Der Chef is rüber nach Italien, Challie macht Flitterwochen, Polly hat Babies gekriegt – keine Menschenseele da! Kam-man – hick! –, kamman ja zum Saufen getriem wern! Bloß mit dem dämichen Hamilton dabei zum Serviern – nein, da schmeck’s einfach nich. Gehssu lieber immer in’n Club, sag ich mir. A’er schlafen lassen die mich da nich – Befehl von meim Alten. So

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