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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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er all ihre mißtrauischen Fragen zufriedenstellend beantwortet hatte, ging sie mit ihm in ein Restaurant und bestellte ihm ein ganzes Menü für einen Vierteldollar; erst Suppe und Brot, dann Schmorfleisch mit Kartoffeln und Bohnen und als Nachtisch Kaffee und Kuchen. Als er ging, hatte Jurgis einen Bauch so prall wie ein Ballon. Und da sah er durch den Regen und die Dunkelheit weit hinten in der Straße rote Lichter flimmern und hörte das dumpfe Dröhnen einer Pauke. Sogleich schlug ihm das Herz höher, und er rannte hin – denn ohne daß er erst zu fragen brauchte, wußte er, daß es sich um eine politische Versammlung handeln mußte.
    Der Wahlkampf war bisher lahm gewesen; die Zeitungen schrieben von »allgemeiner Apathie«. Aus irgendeinem Grund wollten sich die Leute diesmal nicht in Leidenschaft bringen lassen, und es war fast unmöglich, sie in die Versammlungen zu kriegen oder, wenn sie doch mal kamen, großes Tamtam zu machen. Die bisherigen Veranstaltungen in Chicago waren eine einzige Pleite gewesen, und dem heutigen Abend hatten die Organisatoren mit banger Sorge entgegengesehen, denn der Redner war kein Geringerer als einer der Kandidaten für die Vizepräsidentschaft der Vereinigten Staaten. Doch eine gnädige Vorsehung hatte dieses naßkalte Wetter gesandt – jetzt brauchte bloß noch ein bißchen Feuerwerk abgebrannt und eine Weile die Pauke geschlagen zu werden, und dann würden all die obdachlosen armen Schlucker im Umkreis von einer Meile herbeiströmen und den Saal füllen! Und morgen konnten die Zeitungen über den gewaltigen Beifallssturm berichten und noch hinzufügen, es habe sich keineswegs um Publikum aus den gehobenen Schichten gehandelt, was wohl klar genug beweise, daß die von dem erlauchten Kandidaten vertretene Politik der hohen Schutzzölle bei den Lohnempfängern der Nation auf Billigung stößt.
    So fand sich Jurgis in einem großen, mit Fahnen und Bannern geschmückten Saal wieder, und nachdem der Versammlungsleiter seine Begrüßungsansprache gehalten hatte, erhob sich unter einem Tusch der Kapelle der Redner des Abends – und man stelle sich Jurgis’ Empfindungen vor, als er sah, daß es sich dabei um niemand anders handelte als um den berühmten, redegewaltigen Senator Spareshanks, der auch in den Yards beim »Republikanischen Wählerverein Doyle« gesprochen und mitgeholfen hatte, Mike Scullys Kegelaufsteller zum Stadtrat zu wählen!
    Der Anblick des Senators trieb Jurgis fast die Tränen in die Augen. Wie schmerzlich war es für ihn, auf jene goldenen Stunden zurückzuschauen, als auch er zu den das Land regierenden Auserwählten gehört hatte – mit eigenem Abzapfhahn am Wahlfonds-Faß. Auch bei dieser Wahl hatten die Republikaner das meiste Geld, und wäre nicht diese unselige Sache passiert, hätte er seinen Teil davon einschieben können und wäre nicht da, wo er war!
     
    In beredten Worten erläuterte der Senator die Sache mit den Schutzzöllen: eine klug ausgedachte Einrichtung, bei der der Arbeiter dem Produzenten erlaube, ihm höhere Preise abzuverlangen, damit er auch höheren Lohn erhalten kann; auf diese Weise ziehe man dem Arbeiter zwar mit der einen Hand das Geld aus der Tasche, stecke ihm aber mit der anderen einen Teil davon wieder hinein. Für den Senator war dieses unter dem sinnreichen Namen »Protektionismus« laufende System zu einer Art Grundwahrheit der Welt geworden; es habe das Land des Kolumbus zur Perle des Ozeans werden lassen, und der Nation künftige Erfolge, ihre Macht und ihr Ansehen unter den Völkern hingen ab von dem Eifer und der Treue, mit denen jeder einzelne Bürger jene Gemeinschaft unterstützt, die sich heroisch müht, eben dieses System zu erhalten: die große Republikanische Partei!
    Hier brachte die Kapelle wieder einen Tusch, und Jurgis fuhr mit einem Ruck hoch. So unwahrscheinlich es auch klingen mag, aber er gab sich verzweifelte Mühe, den Ausführungen des Senators zu folgen – das Ausmaß von Amerikas Aufblühen zu begreifen sowie die gewaltige Ausdehnung des amerikanischen Handels und die Zukunft der Republik im Pazifik, in Südamerika und wo sonst noch Völker unter dem Joch stöhnten. Der Grund war ganz einfach der, daß Jurgis sich wach halten wollte. Er wußte, wenn er sich gehenließ und einschlief, würde er bald laut schnarchen, und so mußte er zuhören, mußte interessiert sein, ob er wollte oder nicht! Aber das viele Essen hatte ihn so müde werden lassen, und der Saal war so warm und sein Platz so bequem!

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