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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Verwandte von mir.«
    Die junge Negerin zögerte einen Augenblick. Dann machte sie die Tür ganz auf und sagte: »Komm Sie rein.« Als Jurgis eingetreten war und in der Diele stand, fuhr sie fort: »Ich geh mal nachfragen. Wie is’n Ihr Name?«
    »Sagen Sie ihr, Jurgis ist da«, antwortete er.
    Das Mädchen ging die Treppe hinauf. Nach ein paar Minuten kam es zurück mit dem Bescheid: »Wir ham hier keine nich, die so heißen tut.«
    Jurgis sah alle Hoffnung dahinfahren. »Man hat mir aber gesagt, daß sie hier wohnt!« rief er.
    Doch das Mädchen schüttelte nur den Kopf. »Madame sagt, so jemand ham wir nich.«
    Ratlos und traurig blieb Jurgis noch einen Augenblick stehen. Dann wandte er sich zur Tür. Doch an der ertönte gerade ein Klopfen, und das Mädchen ging hin, um zu öffnen. Jurgis hörte Stiefelschritte und dann einen Aufschrei der Negerin. Im nächsten Moment kam sie an ihm vorbeigestürmt und rannte mit vor Angst so weit aufgerissenen Augen, daß sie in dem schwarzen Gesicht weiß funkelten, die Treppe hinauf und brüllte dabei aus vollem Halse: »Polizei! Polizei! Sie nehm uns hops!«
    Eine Sekunde lang stand Jurgis verwirrt da. Als er dann aber die blauuniformierten Gestalten auf sich zustürzen sah, rannte er dem Negermädchen hinterher. Dessen Geschrei hatte oben einen wilden Tumult ausgelöst. Das Haus war voller Leute, und als Jurgis den Flur erreichte, sah er sie dort in wilder Aufregung hin und her rennen, schreiend und kreischend. Es waren Männer und Frauen, die ersten größtenteils im Neglige, die letzten alle mehr oder weniger unvollständig angezogen. Auf der einen Seite erhaschte Jurgis einen Blick in einen Salon mit Plüschsesseln und mit Tischen, auf denen Tabletts mit Gläsern standen. Auf dem Fußboden – einer der Tische war umgekippt – lagen überall verstreut Spielkarten und rollten Weinflaschen umher, deren Inhalt sich auf den Teppich ergoß. Eine junge Frau war in Ohnmacht gefallen, und zwei Männer bemühten sich um sie; ein Dutzend andere drängten zur Haustür.
    Von dort ertönte jedoch plötzlich lautes Bummern, und sofort wichen alle zurück. Im selben Augenblick kam eine füllige Frau mit gepuderten Wangen und Brillantohrringen die Treppe heruntergerannt und keuchte atemlos: »Nach hinten! Rasch!«
    Sie führte sie zu einer rückwärtigen Treppe, und Jurgis schloß sich ihnen an. In der Küche betätigte sie einen Hebel, worauf ein Schrank zur Seite glitt und einen dunklen Gang freigab. »Da rein!« rief sie den anderen zu, deren Zahl inzwischen auf zwanzig, dreißig angewachsen war, und alle begannen, sich dort hineinzuzwängen. Kaum war der letzte verschwunden, hörte man von ganz vorn Schreie, und dann strömte die Menge wieder heraus mit dem Ruf: »Da sind sie auch schon! Wir sitzen in der Falle!«
    »Die Treppe rauf!« rief die Frau, und der Haufen setzte sich wieder in Bewegung; alle fluchten, kreischten und drängelten sich vor. Ein Treppenabsatz, ein zweiter, ein dritter – und dort dann eine Leiter zum Dach, an deren unterster Sprosse sich die Menge drängte, während sich oben ein einzelner Mann mit aller Kraft abmühte, die Dachklappe zu öffnen. Sie rückte und rührte sich nicht, und als die Frau ihm zurief, er solle den Haken losmachen, antwortete er: »Der ist schon los. Draußen sitzt jemand drauf!«
    Einen Augenblick später erscholl von unten eine Stimme: »Gebt lieber auf, Leute. Diesmal meinen wir’s ernst.«
    Da gaben sie sich geschlagen, und kurz darauf kamen mehrere Polizisten die Treppe hoch, schauten sich forschend um und beäugten angelegentlich ihre Opfer. Die meisten der Männer waren verängstigt und verlegen. Die Frauen hingegen nahmen es als einen Spaß, an den sie gewohnt zu sein schienen – aber auch wenn sie schreckensbleich gewesen wären, hätte man das wegen der Schminke auf ihren Wangen nicht gemerkt. Ein schwarzäugiges Mädchen setzte sich aufs Geländer und begann, mit seinem in einem Pantöffelchen steckenden Fuß nach den Helmen der Polizisten zu stoßen, bis einer von denen es am Knöchel packte und herunterzog. Im Stockwerk darunter saßen im Flur vier, fünf Mädchen auf Truhen und machten sich über die an ihnen vorüberziehende Prozession lustig. Sie waren laut und ausgelassen, hatten anscheinend getrunken. Eine von ihnen, in einem knallroten Kimono, hatte eine so gellende Stimme, daß sie allen anderen Lärm in dem Flur übertönte.
    Als Jurgis einen Blick auf sie warf, erschrak er und rief: »Marija!«
    Sie hörte ihn

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