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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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sein und trotzdem schon seit über einem Jahr bei Jones arbeiten, Jurgis wollte, daß Stanislovas Englisch lerne und später eine richtige Berufsausbildung mache.
    So blieb nur Dede Antanas übrig. Jurgis hätte auch ihm gern Ruhe gegönnt, mußte aber einsehen, daß das nicht ging, und außerdem wollte der alte Mann davon nichts hören, denn er lebte in der Einbildung, noch so gut beieinander zu sein wie in seinen besten Jahren. Er war mit genausoviel Hoffnung nach Amerika gekommen wie die rüstigsten von ihnen, und jetzt bildete er das Problem, das seinem Sohn die meisten Sorgen bereitete. Mit wem Jurgis auch sprach, jeder versicherte ihm, für den alten Mann in Packingtown Arbeit suchen zu wollen wäre vergeudetete Zeit. Jokubas sagte ihm, daß die Firmen nicht einmal jene Arbeiter behielten, die in ihren Diensten alt geworden sind – geschweige denn daß sie neue alte Leute einstellten. Und das sei nicht nur hier die Regel, sondern seines Wissens in ganz Amerika so. Jurgis zuliebe hatte er den Werkpolizisten gefragt und war mit dem Bescheid zurückgekommen, daß es ganz aussichtslos wäre. Sie hatten das Dede Antanas verschwiegen, und der war dann die beiden Tage die Yards abgeklappert. Als er jetzt heimkam und vom Erfolg der anderen hörte, lächelte er tapfer und sagte, andermal werde er schon noch Glück haben.
    Sie meinten, da sich die Dinge so günstig anließen, dürften sie auch bereits an ein eigenes Heim denken. Während sie an jenem Sommerabend draußen auf der Vortreppe saßen und darüber berieten, nahm Jurgis die Gelegenheit wahr, etwas Gewichtiges vorzubringen. Auf dem Weg zur Arbeit heute früh waren ihm zwei Jungen aufgefallen, die von Haus zu Haus große Reklamezettel verteilten, und als er sah, daß Bilder darauf waren, ließ er sich einen geben, rollte ihn zusammen und steckte ihn sich ins Hemd. In der Mittagspause hatte ihm ein Kollege, mit dem er ins Gespräch gekommen war, den Text vorgelesen und noch einiges dazu erzählt, worauf hin Jurgis dann einen kühnen Gedanken faßte.
    Er legte das Blatt nun den anderen vor. Es war ein wahres Kunstwerk, über einen halben Meter hoch, auf Glanzpapier gedruckt und in so schillernden Farben gehalten, daß sie selbst im Mondlicht noch leuchteten. Die Mitte nahm ein wunderhübsch gemaltes Haus ein, nagelneu und bestechend schön. Das Dach schimmerte purpurn mit Goldschattierung, die Wände gleißten silbrig, die Türen und Fensterrahmen funkelten rot. Das Haus hatte zwei Geschosse, einen überdachten Vorplatz und phantastisch verschnörkelte Zierblenden. Bis ins kleinste Detail war alles da; sogar den Türknauf konnte man erkennen. Auf dem Vorplatz schaukelte eine Hängematte, und an den Fenstern hingen weiße Spitzen-Stores. Unter diesem Bild befand sich in der einen Ecke ein kleineres, das ein sich liebevoll umarmendes Ehepaar zeigte, und in der anderen sah man eine Wiege mit duftigem Baldachin, über dem ein lächelnder Engel mit silbernen Flügeln schwebte. Damit auch wirklich jeder kapierte, was dargestellt war, stand noch in polnisch, litauisch und deutsch »D OM • N AMAI • H AUS « dabei. Und ebenso vielsprachig wurde dann gefragt: »Warum Miete zahlen? Warum nicht lieber ein E IGENHEIM erwerben? Wissen Sie, daß Sie das für weniger bekommen können, als Ihre Miete ausmacht? Wir haben schon Tausende von Häusern gebaut, in denen jetzt sorgenfrei gewohnt wird – sorgenfrei, weil mietefrei!« In beredten Worten schilderte der Text die Freuden des Familienlebens am eignen Herd, der Goldes wert, und zitierte auch »Trautes Heim, Glück allein«, ja wagte sich an dessen Übertragung ins Polnische – unterließ aber aus irgendeinem Grund die ins Litauische. Vielleicht hatte es der Übersetzer zu schwierig gefunden, in einer Sprache gefühlvoll zu werden, in der ein Schluchzer »gukcziojimas« heißt und ein Lächeln »nusiszypsojimas«.
    Die Familie brütete lange über diesem Blatt, während Ona den Inhalt zusammenbuchstabierte. Der Beschreibung nach hatte das Haus drei Zimmer und Küche sowie ein »Souterrain« und war alles in allem samt Grundstück für fünfzehnhundert Dollar zu haben. Davon brauchten nur dreihundert gleich bezahlt zu werden, den Rest konnte man mit monatlich zwölf Dollar abtragen. Angsterregend viel Geld, gewiß, aber schließlich war man ja in Amerika, wo die Leute furchtlos von solchen Beträgen sprachen. Sie hatten erfahren, daß sie für eine Wohnung neun Dollar im Monat zahlen müßten; billiger kämen sie einfach

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