Der Duft der roten Akazie
Lichtverhältnissen nicht auszumachen waren. Ella konnte sich vorstellen, wie es früher gewesen sein musste, als noch ein klares, funkelndes Bächlein durch dieses Tal geplätschert war. Inzwischen war das Wasser braun und schlammig. Nicht mehr seine Schönheit zählte, sondern nur noch die Tatsache, dass die Goldgräber das Wasser zum Goldwaschen brauchten.
Überall waren die Hinterlassenschaften der Regenfälle zu erkennen. Die Sonne spiegelte sich in glitzernden Wasserlöchern, und der Boden schimmerte schmierig wegen des ständigen Verkehrs. Die höher gelegenen Hügel und Bergkuppen waren noch dicht bewaldet und zum Großteil unberührt. Nur hier und da wies eine Rauchwolke auf den Unterschlupf eines Schürfers oder das Versteck eines Straßenräubers hin.
Doch unten in den Schluchten und auf den Ebenen bedeckten weiße Zelte das Gebiet wie willkürlich gefallene Schneeflocken. Der Qualm der Lagerfeuer waberte als Nebel in der kalten, reglosen Luft. Die Bäume, die einst in der fruchtbaren Erde des Tals gediehen waren, hatten die Goldgräber gefällt, um sie zu Brennholz zu verarbeiten, ihre Zelte abzustützen oder ihre Gruben zu sichern. Nur wenige stattliche Exemplare waren der Axt entronnen.
Ella beobachtete, wie Goldgräber die goldhaltige Erde in Schubkarren oder Eimern zum Bach schafften. Einige kauerten am Wasser, um sie auszuwaschen, rührten eifrig in Wannen herum oder bewegten hölzerne Wippen. Die Geschäftigkeit war ansteckend. Plötzlich verstand Ella, was in einem zukünftigen Goldgräber vorgehen musste, wenn die Erfüllung all seiner Hoffnungen und Träume auf einmal vor ihm lag. Sicher schwindelte ihm vor Aufregung.
Hier auf den Goldfeldern von Bendigo spielte sich eines der großen Abenteuer der Menschheit ab. Und sie, Ella, befand sich mittendrin.
Der Pfad, den Adam ausgesucht hatte, endete auf einer großen Ebene, auf der Zelte verschiedener Größe standen. Fahnen hingen schlaff vor Ladengeschäften, und Ella sah eine Schmiede, eine Bäckerei und ein Zelt, in dem Mahlzeiten serviert wurden. An der Bude eines Metzgers waren halbe Schafe an Haken aufgehängt und wurden von einem gefährlich wirkenden Hund bewacht. Wolf sträubte das Fell, mimte aber nach einem Wort von Adam den Gleichgültigen. Eine kleine Abteilung Soldaten exerzierte vor einem offiziell aussehenden Zelt aus Leinwand, das ein Stück abseits errichtet war. »Ein Hotel der Spitzenklasse«, verkündete ein Schild an einem Gebäude aus Rinde und Baumwollbahnen.
Adams Karren rumpelte weiter. Vor ihnen war ein Ochsenkarren umgekippt. Fluchend und schimpfend versuchte der Fahrer, ihn wieder aufzurichten. Anstatt ihn zu umrunden, bog Adam auf einen der vielen Seitenpfade ein. Er führte in eine schmale Schlucht, wo überall Lagerfeuer angezündet wurden. In der anbrechenden Dunkelheit strahlten sie wie Leuchttürme.
Aus einem der Zelte drang beschwingte Musik. Einige wenige Schürfer waren noch im Schein von an Pfosten befestigten Laternen an der Arbeit. Ella sah ihre Köpfe wippen, wenn sie mit den Spitzhacken ausholten. Überall waren unordentlich aufgeschüttete Erdhaufen zu erkennen. Der Boden war mit Löchern durchsetzt, manche nur flach, andere im schwindenden Licht nur schwer abzuschätzen. Ein Stück den Weg entlang hatte ein unvorsichtiger Goldgräber seine Parzelle mitten auf der Straße abgesteckt, sodass alle Fahrzeuge einen Bogen darum machen mussten. Wenn Adam nicht so scharfe Augen gehabt hätte, hätte Bess sich wohl sämtliche Beine gebrochen.
Der Weg schlängelte sich um tiefe Löcher und kleine Hügel. Die Räder des Karrens schlingerten über den glitschigen Boden. Inzwischen hatten sie die nächste Schlucht erreicht, und Adam brachte Bess zum Stehen, um in die Dämmerung zu spähen. Das sanfte Abendlicht war schon vor einer Weile einem undurchdringlichen Grau gewichen, und heranziehende Wolken verdeckten einen fahlen Mond.
»Am besten verbringen wir die Nacht hier und warten auf den Morgen. Vielleicht sind wir ja falsch abgebogen.«
Ella schaute auch geradeaus und bemerkte, dass die Schlucht nicht so dicht besiedelt war. Es standen weniger Zelte dort, und die wehenden Fahnen fehlten. Ein Loch am Wegesrand war zur Hälfte mit dunklem Wasser gefüllt, das niemand abgeschöpft hatte. Die Gegend wirkte verlassen, als ob der Goldrausch an ihr vorbeigezogen wäre.
»Glauben Sie, dass hier noch Gold liegt?«
Adam zuckte die Achseln. »Wie es aussieht, wurde diese Schlucht bereits ausgebeutet, sodass die
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