Der Duft der roten Akazie
sie träumte. Für gewöhnlich waren die Träume sofort nach dem Aufwachen vergessen, auch wenn die von ihnen ausgelösten Gefühle blieben. Angst, Glück, Verlust … Jemand hatte sie als die Tochter des Großgrundbesitzers bezeichnet. Aber wer? Sie war Schottin und Tausende von Kilometern ans andere Ende der Welt gereist. Warum? Wer hatte sie hergebracht? Ihr Mann? Wo mochte er in diesem Moment sein?
Ella schloss die Augen. Der Schüttelfrost setzte wieder ein. Als sie unruhig hin- und herrutschte, rollte ihr etwas vom Schoß. Eine von Adams Kartoffeln.
Sie waren klein. Ernteausschuss und zu den Goldfeldern gebracht worden, um sie für das Vielfache des üblichen Preises zu verkaufen. Aber Adam hatte sie gefunden, ein Vermögen dafür bezahlt und sie ihr geschenkt.
Er liebte sie.
Diese Worte waren wie ein Ruhepol in einem Strudel aus unbeantworteten Fragen. Sie klammerte sich an sie wie an ein Rettungsboot und holte Luft. Sie wusste, dass sie noch einen langen Kampf vor sich hatte und das Ufer vielleicht nie erreichen würde. Doch nun hatte sie Gelegenheit, sich auszuruhen und zu Kräften zu kommen, und diese Chance musste sie nutzen.
»Margaret Catchpole«, murmelte Catherine mit rauchiger Stimme. »Hast du schon einmal von ihr gehört?« Warme, kluge Augen musterten sie aus der Dunkelheit. Eine Mischung aus Spott und Anteilnahme war darin zu erkennen.
Ella schüttelte den Kopf. Sie freute sich über Catherines Besuch. Es war immer schön, Catherine zu sehen. Außer ihrer Schwägerin hatte sie keine Freundin, mit der sie offen sprechen konnte. Catherine wusste, wie unglücklich sie war, und hatte Verständnis für sie.
Ihr Gesicht war noch immer reizend – sie war jünger als ihr Bruder –, doch ihre wahre Anziehungskraft lag in ihrer Ausstrahlung. Helle, aufmerksame Augen und ein Lächeln, als wisse sie alles. Vielleicht tat sie das wirklich, obwohl sie genauso wenig Bildung genossen hatte wie ihr Bruder. Wie er hatte sie sich die Umgangsformen selbst angeeignet, denen ein großes Vermögen den letzten Schliff gegeben hatte.
»Margaret Catchpole«, wiederholte die rauchige Stimme, diesmal mit einem Seufzer. »Vor einiger Zeit ist ein Buch über sie herausgekommen. Ich habe es nicht gelesen.« Ein scharfer Blick, als ob sie das überhaupt könnte. »Soweit ich gehört habe, enthält es nur romantische Unwahrheiten … nun, wenigstens zum Großteil. Aber es soll eine schöne Geschichte sein.«
»Kanntest du sie? Margaret Catchpole, meine ich?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Eine Frau, der ich vor vielen Jahren kurz nach meiner Ankunft in Sydney begegnet bin, hat mir von ihr erzählt. Sie hat sie gekannt oder es zumindest behauptet. Vielleicht hast du ja Spaß an der Geschichte, und sie heitert dich auf.« Catherine drückte ihr die Hand. Noch immer spiegelten sich Spott und Anteilnahme in ihrem Blick.
»Ja, möglicherweise.«
Catherine machte es sich in ihrem Sessel gemütlich. »Nun«, begann sie leise und in verschwörerischem Ton. »Als junges Mädchen liebte Margaret einen Mann, der Straßenräuber war. Er war ein Halunke und brachte Margaret nichts als Schwierigkeiten, du weißt ja, wie es ist. Diese Kerle sind wie Magneten und ziehen junge, ahnungslose Mädchen an. Der Straßenräuber verließ sie, und ihr Leben ging weiter. Doch eines Tages schickte er ihr eine Nachricht. Er brauche sie, und da sie ihn immer noch liebte, folgte sie seiner Bitte. Sie verkleidete sich als Junge, ›lieh‹ sich das Pferd ihres Dienstherrn und ritt los, um mit ihm zusammen zu sein.«
Die Geschichte war spannend. Gebannt lauschte sie der sanften Stimme. Catherines helle Augen funkelten.
»Natürlich wurde sie erwischt und bestraft. Sie wurde nach Neusüdwales deportiert und hat schreckliche Dinge durchgemacht. Aber sie hat alles ertragen und überstanden und ist am Ende glücklich geworden. Wie findest du das?«
»Mir gefällt die Geschichte.«
Catherine neigte den Kopf zur Seite. »Männer«, sagte sie. »Die reinsten Egoisten. Ich habe einige kennengelernt und mir von ihnen das Herz brechen lassen. Sie sind es nicht wert, Liebes.«
Tränen traten ihr in die Augen. »Wirklich nicht?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Es ist wirklich eine schöne Geschichte, oder? Kannst du dir vorstellen, einen Mann so zu lieben, dass du mit ihm davonläufst und alles aufgibst?«
»Nein. Nein, das kann ich nicht.«
Die kleine Uhr auf dem Kaminsims tickte leise. Die Minuten verstrichen. Sie spürte,
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