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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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und begann ein neues Bild. Ein großer, muskulöser Mann mit langem, dunklem Haar trieb es mit einem Mann mit langem, blondem Haar. Es sollte Stephan sein, aber weil sein Gesicht abgewandt war, konnte es ebenso gut Joachim sein. Das Malen erregte sie bis zur Unerträglichkeit. Entsetzt stellte sie fest: Ich brauche einen Mann! Aber wer braucht ihn? Barbara oder Sascha? War das nicht egal? Sie begehrte Unmögliches. Als Barbara verabscheute sie männliche Geilheit, als Sascha musste sie verzichten, auf ewig verzichten. Was für eine beschissene Zukunft! Sie übermalte den Kopf des dunklen Mannes mit roter Farbe, bis er nur noch ein Klecks war. Weg mit ihm! Auch als Alexander würde sie niemals mit einem Mann schlafen können.
    Entnervt legte sie ihre Malsachen beiseite und ließ sich auf die Couch fallen. Während ihre Hand zwischen die Schenkel glitt, überlegte sie, ob es nicht irgendwie irgendwo einen besseren Ausweg für sie gab. Sie starrte auf den roten Klecks. Schade, aber getrocknete Ölfarbe ließ sich übermalen.

18
    Das kleine Stück Grün zwischen dem Busbahnhof und dem Parkplatz war übersät von Zigarettenkippen, fettigem Pommes-Papier und Cola-Pappbechern aus dem nahe gelegenen McDonald’s. Tauben bevölkerten den Flecken und lebten gut dort. Trotz der Autoabgase strotzten die Büsche in sattem Grün und verdeckten gnädig andere Hinterlassenschaften, gebrauchte Spritzen, menschliche Exkremente.
    Frank kam aus den Büschen heraus und zog sich mit der Linken den Reißverschluss hoch, während er mit der anderen Hand einen Geldschein in der Brusttasche seines T-Shirts verstaute. Niemand beachtete ihn. Frank schlenderte die paar Schritte zum Steindamm hinüber, ein unauffälliger, schlanker Junge, blondes Stoppelhaar, helle Augen, auf den ersten Blick noch keine Achtzehn. Beim näheren Hinsehen fiel sein harter Mund auf, der ihn älter machte. Er ging Richtung Hauptbahnhof, die Finger in den Gesäßtaschen seiner hautengen Jeans verhakt, und er ging sehr langsam, dabei huschten seine hellen Augen umher wie ein Wiesel. Älteren Männern, in deren Gesichtern die Einsamkeit nistete, schenkte er ein warmes Lächeln, sonst blieb seine Miene unbeteiligt.
    Den jungen Mann im weiten Jeanshemd und fransig geschnittenen, dunklen Haaren, der in der Tür der Apotheke wartete, beachtete Frank nicht. Er registrierte, dass dort ein verdammt hübscher Junge stand, aber hübsche Jungen waren keine Freier, die waren Konkurrenz. Frank überquerte den Parkplatz und sah sich flüchtig um. Der Junge im Jeanshemd folgte ihm.
Zufall
, dachte Frank. Er lehnte sich gegen ein Auto und fummelte nach seinen Zigaretten, um den Jungen vorbeizulassen. Würde nichts schaden, einen Blick auf seinen Arsch zu werfen. Er zog eine Zigarette aus der Packung, der Junge im Jeanshemd blieb bei ihm stehen. »Feuer?«
    Frank behielt die Fassung. Er lächelte dünn und nickte. »Danke.« Verdammt, der Junge hatte etwas! Frank fühlte sofort ein Ziehen in den Lenden, das hatte er seit Monaten nicht mehr gehabt. Aber den Luxus von Gefühlen konnte er sich nicht leisten, nicht einmal, zu schnell geil zu werden. Geil, das sollten die anderen auf ihn sein und das möglichst oft am Tag.
    »Ich bin Sascha.« Der Junge lächelte so selbstbewusst, als sei er der King vom Kiez.
    Kann er sich auch erlauben
, dachte Frank.
Aber was will der von mir?
»Hallo Sascha«, sagte er. »Was darf’s denn sein?« Der wird mich jetzt nach der Uhrzeit fragen oder wo man Designerhemden kaufen kann oder so.
    »Hast du eine Wohnung?«
    Frank sperrte seine Ohren auf. Ein Freier? Das glaubte er nicht. »Wieso?«, fragte er und blinzelte. Dabei verzog er den Mund vorsichtshalber zu einem Lausbubenlächeln, das er oft vor dem Spiegel geübt hatte. Bei älteren Männern hatte es immer gewirkt.
    »Weil ich es nicht in den Büschen machen will.«
    Franks Grinsen wurde breiter, sein Herz klopfte. »Ich habe ein Zimmer ganz in der Nähe, wohne da mit einem Kumpel, aber der ist jetzt nicht da.« Frank stieß sich von dem Wagen ab. Was ihm durch den Kopf ging, ließ er sich nicht anmerken. »Ich mache alles, keine Tabus. Dreihundert auf die Hand, und wir reden über nichts mehr, einverstanden?«
    Der andere feilschte nicht, nickte sofort.
Glückstag
, dachte Frank. Diesen Samtarsch im Bett und dreihundert Mäuse obendrauf. Manchmal konnte dieser Job richtig Spaß machen.
    Franks Absteige lag im vierten Stock in der Gurlittstraße. Im Hausflur roch es nach Bohnerwachs und kaltem Rauch.

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